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Interventions-Ausstellung im Forum Wissen zu: Kunst, Wissenschaft und interaktive Museumspädagogik, das Leben im Anthropozän denken

Das 21. Jahrhundert ist geprägt von Herausforderungen, die keine einzelne Person – und auch keine einzelne Disziplin – allein lösen kann. Klimawandel, Biodiversitätsverlust, Pandemien und Ressourcenkonflikte tragen alle dazu bei, dass wir der neuen Epoche der Erdgeschichte, dem Anthropozän, anders begegnen sollten. Es ist die Zeit, in der das menschliche Handeln zum wichtigsten Treiber planetarer Veränderungen geworden ist. Darauf zu reagieren bedeutet, neu zu denken, wie wir zusammenarbeiten und lernen.

Die Nachwuchsforschungsgruppe WeAreOne ist ein solcher Versuch; erdacht und geleitet von Antje Risius. Gefördert wird die Forschungsgruppe über das Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR-FONA). In ihr arbeiten unterschiedliche Disziplinen (Epidemiologie, Biologie, Soziologie, Agrar- und Ernährungswissenschaften sowie Anthropologie) in unterschiedlichen Settings mit unterschiedlichen Akteur*innnen und Künstler*innen zusammen, um Synergien im Zusammenleben des Anthropozän zu erdenken und Wege zu eröffnen. Dabei untersucht das Team zunächst, wie Menschen und Institutionen mit dem Anthropozän umgehen und sich daran anpassen – empirisch aber auch mit Simulationen sowie vergleichenden Analysen der Rechtswissenschaften. Im Zentrum des theoretischen Unterbaus, steht die Frage, wie es insbesondere eine bessere Balance zwischen der Mensch-Tier-Natur Gesundheit erreicht werden kann. Das besondere der Nachwuchsgruppe ist dabei, dass sie sich insbesondere jenseits der geschriebenen und erzählten Narrative und Normen bewegt – im Resonanzraum zwischen Mensch-Tier-Natur sowie im Einklang mit anderen gesellschaftlichen Akteuren. Dies hat u.a. zur transdisziplinären Zusammenarbeit mit Natur-Sound-Künstler und DJ Dominik Eulberg geführt, der seit Beginn integraler Praxispartner im Projekt ist.

Das WeAreOne-Projekt selbst basiert dabei zunächst auf drei sich ergänzenden Säulen: Erstens untersucht es das kulturelle Verständnis des Anthropozäns. Zweitens analysiert es rechtliche, politische und institutionelle Rahmenbedingungen, die Synergien im Dreiklang von Mensch-Tier-Natur-Gesundheit. Drittens modelliert es ökologische, gesundheitliche und ökonomische Szenarien und testet Interventionen, um wirksame Veränderungspfade aufzuzeigen. Damit folgt das Projekt dem One-Health-Ansatz, der davon ausgeht, dass die Gesundheit von Menschen, Tieren und Ökosystemen untrennbar miteinander verbunden ist und nur gemeinsam erreicht werden kann. Durch die Verbindung kultureller Deutungen, institutioneller Strukturen und naturwissenschaftlicher Evidenz entsteht so in der letzten Phase des Projektes ein systemischer Blick darauf, wie nachhaltige Ernährung und Gesundheitsförderung im Sinne dieses Ansatzes praktisch umgesetzt werden können.

Vor diesem Hintergrund entstand die Ausstellung „1+1=3? Leben im Anthropozän verstehen“, die als Interventions-Ausstellung gemeinsam mit dem Forum Wissen entwickelt wurde und Alle einlädt mitzugestalten, mitzufragen und nach Lösungen zu suchen.

Vom 22. November 2025 bis zum 8. Februar 2026 wird das Vestibül des Forum Wissen zu einem Experimentierraum für neue Formen des Lebens auf einem „endlichen Planeten“ (oder einem Leben mit endlichen Ressourcen).

Anstatt das Anthropozän als abstrakten Begriff zu präsentieren, stellt die Ausstellung Fragen wie: Wie fühlt es sich an, im Anthropozän zu leben? Wie zeigen sich planetare Belastungsgrenzen in unserem Alltag, unserer Ernährung, unseren Landschaften, unserer Gesundheit? Was kann man tun, um die Gesundheit von Menschen, Tieren und Ökosystemen zugleich und miteinander zu schützen? Und was wird möglich, wenn Kunst, Wissenschaft und Klang in dieselbe Richtung ziehen – wenn aus 1+1 tatsächlich 3 wird?

Die Eröffnung: Drei Stimmen und doch ein Klang

Schon die Eröffnung am 21. November durch ein Sofagespräch im Vestibül des Forum Wissen Prof. Dr. Antje Risius, Prof. Dr. Tobias Katz und dem bekannten DJ und Bestsellerautor Dominik Eulberg stand ganz im Geiste der Interventions-Ausstellung, die versucht drei unterschiedliche Perspektiven zu verbinden:

  1. die wissenschaftliche, die die Intervention in Forschung zu planetaren Grenzen, Gesundheit und Ressourcennutzung verankert;
  2. die vermittelnde, die die wissenschaftlichen Einsichten einem breiten Publikum zugänglich macht und es befähigt, die Welt besser zu verstehen.
  3. die künstlerische, die über Klang, Emotion und Erzählung verbindet

1. Die Stimme der Wissenschaft: Ernährung als alltäglicher Hebel

Für Prof. Dr. Antje Risius und das WeAreOne-Team wird das Anthropozän durch etwas greifbar, das wir alle mehrfach am Tag tun: Essen und den Alltag gestalten. Planetare Belastungsgrenzen – die sicheren Handlungsräume für Erdsysteme wie Klima, Biodiversität oder Süßwassernutzung – können abstrakt wirken. Doch (nachhaltige) Ernährung stellt eine wichtige Basis und eröffnet Schnittmengen: Als erlebtes, leibliches Handeln in der Form der Nahrungsaufnahme, mehr noch jedoch als organisiertes System: Die Landwirtschaft prägt Landschaften, beeinflusst Gesundheit und strukturiert globalen Handel und Ungleichheit im Anthropozän auf besonders prägnante aber auch besonders einflussreiche Weise. Ohne eine nachhaltige Transformation der Landwirtschaft ist ein Leben innerhalb der planetaren Grenzen praktisch unmöglich. Prof. Dr. Antje Risius zeigt in ihren Redebeiträgen am Beispiel von nachhaltigen Ernährungssystemen (auch mit Tierhaltung) wie aus 1+1=3 werden kann; Wie Tierschutz, Klimaschutz, gesunde Ernährung und Ökosystemerhaltung sich wechselseitig ergänzen statt einander im Weg stehen können.

2. Die Stimme der Vermittlung: Wissen räumlich erlebbar machen – als Intervention

Der Architekt und Ausstellungsgestalter Prof. Tobias Katz nähert sich dem Anthropozän über den Raum. Für ihn sollte ein Raum wie Wasser erfahren werden können: als etwas, in dem man sich befindet, das einen zurückberührt, nicht etwas, das man nur betrachtet. Der Reiz einer künstlerischen Intervention als Medium bestehe in der körperlichen Erlebbarkeit, im Manövrieren durch den Raum. Ein Bild, von dem er weg möchte, sind deshalb Ausstelllungen, die etwas salopp gesprochen „an die Wand genagelten Büchern“ ähneln: Viel Text, wenig Bewegung und Interaktion. Eine gute künstlerische Intervention mache erlebbar, dass Wissen nicht nur in Regalen aufbewahrt wird, sondern auch in den Materialien, Routinen und Infrastrukturen steckt. Die Intervention im Vestibül sehe er ganz in dieser Tradition. Besonders positiv hervorzuheben sei auch der Laiencharakter der Intervention; Da wo nicht alle Exponate durch professionelle Kurator*innen geglättet sind, bieten sich besondere Erfahrungsmöglichkeiten, die normalerweise konventionellen Vorstellungen guter Ausstellungen zum Opfer fallen würden.

3. Die Stimme der Kunst: Staunen als Strategie der Sorge

Während Risius und Katz aus den Perspektiven der Wissenschaft und der Ausstellungsgestaltung sprechen, bringt Dominik Eulberg die Perspektive des Künstlers und Naturschützers ein. International als DJ und Produzent bekannt, ist er zugleich ausgebildeter Ökologe und Bestsellerautor, der seine Plattform nutzt, um Neugier auf die Natur zu wecken. Für ihn gehen Biodiversitätsverlust und Klimawandel Hand in Hand. Ökosysteme zu schützen bedeutet nicht nur, „die Natur“ irgendwo weit weg zu bewahren, sondern uns selbst und den Ort, den wir Heimat nennen.

Eulbergs Beitrag konzentriert sich auf Emotion, Klang und kontraintuitive Einsichten. Die Natur, sagt er, sei die größte Künstlerin überhaupt; seine Arbeit bestehe darin, anderen ihr künstlerisches Potenzial hörbar zu machen. Indem er Natur nicht nur als Opfer, sondern als Quelle des Staunens erfahrbar macht, eröffnet Eulberg einen anderen Zugang zum Anthropozän. Staunen wird zu einer erneuerbaren Ressource: ein Grund, sich zu kümmern – und dranzubleiben, auch wenn die Nachrichten bedrückend sind.

Die lebende Ausstellung – Akteur werden, Anthropozän leben

In einer Zeit, in der die Herausforderungen des Anthropozäns oft Gefühle von Ohnmacht auslösen, möchte dieses Projekt Orte erkunden, an dem man denken, fühlen und spielerisch erproben kann, was als Nächstes kommt oder kommen könnte. Und auch, wie und wo man selbst zum Akteur werden kann.

In den Exponaten der Ausstellungs-Intervention können die Besucher*innen in Chatbots über Erlebnisse und Veränderungen im Anthropozän sprechen, sie können mit der Ernährung der Zukunft experimentieren und Zukunftsszenarien abbilden. Zum Beispiel welche Nahrungsmittel vermehrt und welche vermindert in einem nachhaltigen Ernährungssystem konsumiert werden, und sie können Entscheidungen treffen, die jenen von Politik, Landwirtschaft und Verbrauchenden ähneln. An einer Station etwa agieren sie als lokale Behörden in einem Krankheitsausbruch. An einer anderen entwerfen sie landwirtschaftlichen Betrieb unter der Beachtung der Lebensmittelsicherheit und Tierhygiene. Ziel ist es nicht, eine einzige „richtige“ Antwort zu liefern, sondern Zielkonflikte und blinde Flecken sichtbar zu machen, aber auch offen Fragen für andere Lösungen zu stellen. Besucher*innen der Intervention können unterschiedliche Wege testen und spüren, was es heißt, unter den Bedingungen des Anthropozäns zu leben und verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen.

Lebendig wird die Intervention durch künstlerische Performances und Projekte zum Miterleben, Mithören und Mittanzen.

Den Auftakt bildete am Mittwoch, 10. Dezember, 17:00–18:00 Uhr, der Künstler*innentalk „KUSHTI BOK – Künstlertalk mit David Weiss“ im Vestibül des Forum Wissen („KUSHTI BOK – Künstlertalk mit David Weiss“) zur Frage der Grenzen zwischen Natur und Mensch/Tier im Spannungsfeld der Debatte um Naturschutz, Landschaftspflege und landwirtschaftlicher Produktion.

Am Samstag, 20. Dezember, 15:00–18:00 Uhr, folgt „Körperwissen – Performance, Bewegungsworkshop, Gespräch“, bei dem der Tänzer und Choreograf Noé Valdes Vega gemeinsam mit Anna-Luise Weßling und Nina de la Chevallerie im Vestibül und Aktionsraum des Forum Wissen zeigt, wie sich Mensch-Tier-Natur-Balance im Anthropozän in Bewegung, Körperwissen und gemeinsamem Tun erleben lässt („Körperwissen – Performance, Bewegungsworkshop“ ). Alle sind dann über den Jahreswechsel eingeladen über ein Zusammenleben in Balance „zu wundern“ und Lösungen für die Krisen des Anthropozäns zu imaginieren.

Den ersten Schwerpunkt im neuen Jahr setzt am Mittwoch, 14. Januar, 17:00–18:00 Uhr der Künstlerinnentalk „Die Liebe zu Kunst, Natur und Tier – Künstlerinnentalk mit Misty Ring“, der die emotionale und ästhetische Beziehung zu einer mehr-als-menschlichen Umwelt in den Mittelpunkt stellt („Die Liebe zu Kunst, Natur und Tier – Künstlerinnentalk mit Misty Ring“) und am Mittwoch, 21. Januar, 17:00–18:00 Uhr, lädt der hybride Künstlerinnentalk „Winter Walking – Künstlerinnentalk mit Dr. Rachel Buller“ im Vestibül des Forum Wissen dazu ein, winterliche Naturwahrnehmungen, künstlerische Praxis und ökologische Achtsamkeit miteinander zu verbinden („Winter Walking – Künstlerinnentalk mit Dr. Rachel Buller“).

Den letzten Schwerpunkt bildet ein Wochenend-Workshop mit Florian Winkler. In diesem entwickeln Kinder und Jugendliche Klangcollagen aus Klängen, die sie aus ihrer Lebensumgebung selbst aufnehmen, verknüpfen und zu einem eigenen Klang, einem eigenen Sound, verbinden. So werden Vogelrufe, Wind, Wasser und Insekten – ein sinnlicher Zugang zu einer Welt, die wir zunehmend formen, aber auch neu wahrnehmen deren Grenzen wir achten und neu gestalten können.

Zuhören, fühlen und selber machen stehen deshalb im Zentrum: Denn nur wenn wir alle (anders) handeln, können wir selbst und auch die Welt um uns gesunden.

Selber handeln – wenn auch zunächst im Kleinen – ist Teil einer Strategie des Staunens und der Selbstermächtigung, die wir brauchen in einer Epoche, die in entscheidendem Maße von menschlichem Handeln geprägt ist. Die Intervention „1+1=3? Leben im Anthropozän verstehen“ macht diesen menschengemachten Wandel sichtbar und erfahrbar. Zuhören, fühlen und selber machen stehen deshalb im Zentrum: Denn nur wenn wir alle (anders) handeln, können wir selbst und auch die Welt um uns gesunden.

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