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Aufmerksamkeit haben die Bewegungen „Land schafft Verbindung“ und „Wir haben es satt!“ erregt, doch welche Konsequenzen haben diese demonstrativen Aktionen für den Dialog zwischen den Gruppen, verhärten sich die Position oder schaffen sie Raum für Austausch? Welcher Eindruck bleibt in der breiten Gesellschaft übrig, wenn die Traktoren und Demonstranten wieder aus den Innenstädten verschwunden sind? Wie reagiert die Politik? Dies haben am 10. Dezember Christian Ahlswede, (Landwirt & „Land schafft Verbindung“), Stephanie Töwe (Greenpeace e.V.), Luisa Pieper (Abteilung Soziologe ländlicher Räume) und Dr. Gesa Busch (Abteilung Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte) in einem vollen Hörsaal diskutiert. Moderiert hat die Debatte Prof. Dr. Achim Spiller.

Zum Nachlesen und Nachhören gibt es hier die Stellungnahmen der Diskutanten, als auch das Meinungsbild und die Fragen des Publikums. Die Kommentarfunktion soll zum weiteren Diskutieren einladen!


Christian Ahlswede, Landwirt & „Land schafft Verbindung“

Die Stimmung gegenüber uns Landwirten hat sich verändert. Das spüren wir in der Politik, in der Medienberichterstattung, ja teils im Dorfleben oder auf dem Schulhof. Die pauschalen Verurteilungen brauche ich hier nicht zu wiederholen. Viele politisch aktive Gruppen, allen voran die NGOs, übernehmen auch aus meiner Sicht zunehmend die Meinungsführerschaft bei den Herausforderungen der Zukunft. Die Debatten werden häufig nur noch zugespitzt und undifferenziert geführt. Definitionslose Begriffe wie Massentierhaltung, Agrarfabriken und industrielle Landwirtschaft sind dabei gebräuchliche Schlagworte.

Der gefühlte gesellschaftliche Druck ist auch bei der politischen Willensbildung zu spüren. Die Vorstellung des Agrarpaktes von Bundesministerin Julia Klöckner hat für viele Landwirte das Fass zum Überlaufen gebracht. Mit Hilfe der Sozialen Netzwerke Facebook und WhatsApp konnte innerhalb weniger Wochen eine nie geglaubte Mobilisierung erreicht werden. Land schafft Verbindung hat es geschafft, mit drei Kernbotschaften verbandsübergreifende Proteste zu organisieren und diese medial zu positionieren. Im Unterschied zu vielen anderen Interessengruppen völlig ohne professionellen Background.

Bei den Demonstrationen wurden bewusst einfache Slogans gewählt, wie „Agrarpaket – Wir wollen mitreden!“ oder „Liebe Politiker – Wir brauchen Verlässlichkeit“; so funktioniert nun einmal die Logik einer jeden Demonstration. Trotzdem unterscheiden sich diese deutlich in der Schärfe beispielsweise von Slogans der Organisationen campact, die ihre Kampagnen mit Aussagen wie „Agrarindustrie tötet“ betitelt. Aus meiner Sicht führt solch eine Sprache und solch eine Kampagne zu einer deutlich negativeren Stimmung gegenüber der Landwirtschaft. Das kann nicht zum Dialog führen, einziges Ziel ist die Stimmungsmache und Polarisierung.

Ziel der Bauerproteste ist es den Dialog zu stärken. Im Logo von Land schafft Verbindung heißt es: „Wir rufen zu Tisch“. Bei den Demonstrationen und Podiumsdiskussionen werden daher auch kritische Stimmen zugelassen. Ganz im Gegensatz zur „Wir haben es satt Demo“ in Berlin, die man als Gegenentwurf zu den Demos von Land schafft Verbindung sehen kann.

Die Resonanz und der Zuspruch in der Bevölkerung und den Medien, so ist mein subjektiver Eindruck, ist besser als erwartet. Ich konnte dieses selbst im direkten Gespräch mit Medienvertretern bei der Demonstration in Hannover erleben. Auch die Treckersternfahrt nach Berlin wurde aus eigener Erfahrung von großen Teilen der Berliner Bevölkerung, trotz der Behinderungen im Straßenverkehr, positiv aufgenommen.

Ich bin daher überzeugt, dass wir gemeinsam mit der Mitte der Gesellschaft die Landwirtschaft in die Zukunft führen können. Dabei müssen faktenbasierte Entscheidungen getroffen werden. Nur so können und werden wir Landwirte den Weg mitgehen!  

Stephanie Töwe-Rimkeit, Greenpeace e.V.

Nicht  gegeneinander, sondern gemeinsam protestieren –  Landwirtschaft betrifft uns alle!

Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die  Grundlagen für die Lebensmittelproduktion, für die Landwirtschaft, zu bewahren – genauso wie es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, jetzt alles uns Mögliche zu tun, um die Erderhitzung zu stoppen. Die Politik, alle Marktteilnehmer, vom Erzeuger bis zu den Verbraucherinnen und Verbrauchern tragen Verantwortung. 

Deshalb geht es etwa bei der „Wir-haben-es-satt-Demo“ auch nicht darum, gegen Bauern zu protestieren, sondern darum, mit Ihnengemeinsam für eine bessere Landwirtschaft zu kämpfen und gegen eine Produktionsweise, die auf Masse statt Klasse setzt und der Umwelt und den Tieren schadet – und immer mehr Höfe an den Rand ihrer wirtschaftlichen Existenz bringt

Der Protest richtet sich also nicht gegen Landwirtinnen und Landwirte. Vielmehr geht es um eine systemische Frage, mit der sich auch die Landwirtschaft  auseinandersetzen muss, die aber die Politik, den Handel und die Verbraucher ebenso angeht:  Wie und zu welchem Preis  sollen unsere Lebensmittelunsere Lebensmittel produziert werden?

Über Lösungen lässt sich streiten – aber was ist das Problem?

Der menschengemachte Klimawandel stellt uns und künftige Generationen vor  große Herausforderungen. Ohne ein gemeinsames Verständnis über die Probleme wird es schwierig, die anstehenden Aufgaben zu lösen. Die Landwirte müssen sich ihrer Verantwortung stellen – wie wir alle. Denn wir alle sind Mitverursacher des Artensterbens und der Erderhitzung. Deshalb müssen wir gemeinsam Lösungen entwickeln statt nur über die Verteilung der Verantwortung zu streiten.

Dialog, Diskussion, Debatte –  lösungsorientiert, abseits von Vorurteilen und Schubladen

Angesichts von Naturzerstörung, Artensterben und Klimakrise kann die Lösung nicht sein, weiterzumachen wie bisher. Forderungen der Landwirte nach weniger Auflagen zum Schutz von Klima, Wasser und Tieren sind daher schwer nachvollziehbar und werden von großen Teilen der Gesellschaft nicht akzeptiert – insbesondere,, wenn sich die Proteste gegen geltendes Recht richten, das seit fast drei fast Jahrzehnten ausgesetzt und verschleppt wird, obwohl es längst dem Wohl der Tiere (Stichwort Kastenstand) oder dem Schutz des Wassers (Stichwort Düngeverordnung) dienen sollte.

Die Landwirte verdienen die Unterstützung der Gesellschaft, wenn sie öffentliche Aufgaben zum Schutz von Klima, Arten und Tieren übernehmen. Deshalb muss es gezielte Förderung geben. Sie brauchen langfristige, verlässliche Vorgaben der Politik. Und sie brauchen ein verändertes Bewusstsein der Verbraucher und die Bereitschaft, mehr für nachhaltig produzierte Lebensmittel zu zahlen.  Ich wünsche mir einen Dialog, bei dem wir einander zugehören und bei dem auch inhaltlich und möglichst konstruktiv gestritten werden darf,  statt – oftmals künstlich – zu polarisieren.  

Leseempfehlung:

Luisa Pieper, Abteilung Soziologie ländlicher Räume

Bisher waren „Bauernproteste“ einerseits und „Proteste gegen Bauern“ andererseits eine Art liebgewonnene politische Folklore, ein alljährliches Ritual, das zum „Hochamt“ der Landwirtschaft, der Grünen Woche, gehörte, wie die Nutztierausstellung oder die zünftigen Abendveranstaltungen.

Im Herbst dieses Jahres hat sich die Protestkultur der Landwirte wahrnehmbar gewandelt – und das hörbar über die allerorten auf die Felder gestellten grünen Kreuze hinaus: Die Kundgebungen, Mahnfeuer und Treckerdemos der neu formierten Bewegung „Land schafft Verbindung“ (LsV) stellen eine ungeahnte politische Radikalisierung der Bauernproteste dar. Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) und viele Bioverbände distanzieren sich von den „Bauernprotesten“ der Bewegung. Somit ist klar, dass die Demonstranten eher dem konventionellen Landwirtschaftsmilieu zuzuordnen sind.

Grund besorgt und wütend zu sein, haben die Bauern genug:

  • Enormer Anpassungsdruck durch in kürzester Zeit extrem verschärfte politische Rahmenbedingungen.
  • Durch die Gesetzesverschärfungen und zunehmende Bürokratisierung fühlen sich die Landwirte stark in ihrer Autonomie eingeschränkt.
  • Hinzu kommt aus dem Megatrend der Globalisierung und des weltumspannenden Handels der allgegenwärtige finanzielle Druck durch die Marktpreise für landwirtschaftliche Produkte, der für viele Betriebe eine existenzielle Bedrohung bedeutet.
  • Auswirkungen des Klimawandels auf die Landwirtschaft (z. B. Dürre).

Meine Thesen zu dieser neuen Form der Bauernproteste:

  • Die Protestbewegung der konventionellen Bauern ist ein Ausdruck großer gesellschaftlicher Polarisierung: Einerseits innerhalb der Landwirtschaft (z.B. klein vs. groß), andererseits innerhalb der Gesellschaft (die „landwirtschaftliche Gesellschaft“ entfernt sich von der übrigen Gesellschaft, die Gemeinschaft der Landwirte schottet sich ab und bildet zunehmend einen Mikrokosmos).
  • Konventionelle Landwirte fühlen sich nicht mehr der Gesellschaft zugehörig. Sie fühlen sich abgehängt und ausgegrenzt. Die Veränderungen, die ihnen abverlangt werden, passieren zu schnell. Dadurch entsteht Verunsicherung und Angst.
  • Ohne die sozialen Medien, wie Whats App und Facebook wäre die Bildung von LsV und die Organisation von großen Demonstrationen in so kurzer Zeit nicht möglich gewesen.
  • Die Protestbewegung der konventionellen Landwirte muss auf ihre Rhetorik achten. Völkisch nationalistische Kreise könnten sich die Situation der Landwirte und ihre Protestbewegung zu Nutze machen, was ihnen teilweise bereits gelungen ist. Das Opfer-Narrativ, das LsV reproduziert, in dem die Landwirte als Opfer der Politik, Medien und Verbraucher stilisiert werden, ist ein Charakteristikum des völkischen Nationalismus. Die vehemente Kritik am „Establishment“ und an den „Berliner Eliten“, in Form der angeblich „links-grün-versifften“ Medien, der Verbraucher, der Politik und seit neuestem auch des Bauernverbands, der Christdemokraten und des BMEL greift ein typisches rechtspopulistisches Narrativ auf.

Polarisierung oder Dialog?

Die zwei Welten – nicht-landwirtschaftlich und landwirtschaftlich – müssen zueinander finden. Einen Ansatz könnte der gemeinsame Kampf gegen den Klimawandel darstellen: Wenn die Landwirte für eine gemeinwohlorientierte Wirtschaftsweise – also Reduktion von Treibhausgas-Emissionen, Förderung von Biodiversität usw. – angemessen entlohnt respektive entschädigt werden, könnten sie ihre Existenz sichern. Auf der anderen Seite bedarf es auch der Bereitschaft der Landwirte sich aus dem eigenen Mikrokosmos herauszubewegen, sich selbst und die tradierten Bewirtschaftungspraktiken zu reflektieren und statt nur auf Bisherigem zu Beharren sich stattdessen Neuem zu öffnen – wie es gegenwärtig fast alle Wirtschaftszweige in einer sich rasant verändernden Welt tun, ja, tun müssen.

Leseempfehlung:

Dr. Gesa Busch, Abteilung Marketing für Lebensmittel & Agrarprodukte

Wie leben heute in Deutschland in einer sehr komfortablen Situation. Lebensmittel sind in ausreichender Menge und mit hoher Lebensmittelsicherheit zu günstigen Preisen verfügbar. Neben dieser sehr positiven Situation bringt die intensive Landwirtschaft auch einige negative Auswirkungen auf Umwelt-, Natur- und Tierschutz mit sich, wie bspw. die Überschreitung der gesetzlich zulässigen Nitratwerte im Grundwasser oder ein Verlust an Biodiversität, auch bedingt durch den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Bei allen Tierarten in der Nutztierhaltung finden sich massive Probleme mit der Tiergesundheit, die das Wohlbefinden der Tiere stark einschränken. Es gibt also einige Punkte, über die dringend diskutiert werden sollte.

Diese Themen sind auch in Teilen der Gesellschaft angekommen und tragen dazu bei, dass neben der Erzeugung sicherer und bezahlbarer Lebensmittel, Verbesserungen im Bereich des Natur-, Umwelt-, und Tierschutzes gestellt werden.

Angesichts dieser vielfältigen Ansprüche und Herausforderungen, sehen sich einige Landwirte zu stark in die Verantwortung genommen. Sie protestieren, weil sie ihre Interessen nicht ausreichend vertreten sehen. 

Im Zentrum der Forderungen der protestierenden Landwirte steht u.a. der Erhalt der bäuerlichen Familienbetriebe, der Wunsch nach einer öffentlichen Debatte, ein Stopp der negativen Stimmungsmache in Politik und NGOs gegen Bauern, sowie einem Abbau der Bürokratie.

Auffallend wenig Raum wird in den Forderungen den aktuell drängenden Problemen des Natur-, Umwelt- und Tierschutzes gewidmet. Vorschläge, welche Anreize Landwirte bräuchten, um nicht-ökonomische Ziele stärker in der Produktion berücksichtigen zu können, werden durch eine Kommunikation überlagert, die, so scheint es, den Status quo als nachhaltigste Produktion manifestieren möchte.

Landwirtinnen und Landwirte könnten sich, als Experten auf ihren Gebieten, stärker in die Gestaltung der landwirtschaftlichen Zukunft einbringen. Ein erster wichtiger Schritt wäre, die Probleme in der heutigen Tier- und Pflanzenproduktion zu benennen und anzuerkennen. Auf einem Konsens zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen über änderungswürdige Produktionsweisen ließen sich Lösungsstrategien entwickeln.

Es gibt eine Menge Herausforderungen für die Landwirtschaft der Zukunft. Hier sind alle gefragt und in die Pflicht genommen. Dazu gehört ein offener Dialog, der Veränderungswillen auf allen Seiten voraussetzt und Schuldzuweisungen aussetzt. Eine gemeinsame Problemdefinition könnte hier den Grundstein legen.

Leseempfehlung:


Abstimmungsergebnisse des Publikums

Fragen des Publikums

Keine Kommentare

  • Henning und Sabine Bornscheuer sagt:

    Wir finden den Beitrag in diesem Blog, den wir bisher noch nicht kannten, sehr gut, weil die Ansichten der verschiedenen Betroffenen ohne die sonst übliche Polemik vorgetragen werden.

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