AgrarDebatten.vorOrt geht in die 2. Runde. Gleich zum Jahresbeginn, am 8. Januar, diskutieren vier WissenschaftlerInnen über die Balance zwischen Pflanzenschutz und Biodiversität. Schließen sich diese beiden Ziele automatisch aus oder lassen sie sich miteinander vereinbaren? Neben der Live-Debatte im Hörsaal, haben alle vier TeilnehmerInnen im Vorfeld eine kurze Stellungnahme zur Ausgangsfrage verfasst. Die Audio-Aufnahmen von der Debatte folgen.
Unter den Stellungnahmen sind die Abstimmungsergebnisse des Publikums zu finden.
Dr. Horst-Henning Steinmann, Zentrum für Biodiversität und nachhaltige Landnutzung, der Universität Göttingen:
Pflanzenschutz und Biodiversität passen grundsätzlich nicht zueinander. Die Aufgabe von Pflanzenschutzmaßnahmen ist es ja gerade, die Vielfalt zurückzudrängen und den Kulturpflanzen die Vorherrschaft zu ermöglichen. Dies gilt besonders für die chemischen Verfahren. Es erstaunt daher, warum so viel Zeit und Energie darauf verwendet wird, diese Unvereinbarkeit entweder immer wieder neu beweisen oder aber beharrlich als unzutreffend widerlegen zu wollen.
Um in der Agrarlandschaft mehr Biodiversität zu fördern, müssen sich Naturschützer und Landwirte also aufeinander zu bewegen. Bisher hat sich die Debatte zu sehr mit Lagerbildung beschäftigt. Der Gedanke, den chemischen Pflanzenschutz komplett abzuschaffen ist zum Beispiel verlockend. Mit diesem sehr konsequenten Ansatz würden aber auch sämtliche Nutzen, die zweifellos dem chemischen Pflanzenschutz zuzurechnen sind aufgegeben werden.
Ein „Weiter-So“ beim chemischen Pflanzenschutz würde hingegen verkennen, dass die heutigen Anbausysteme in der Pflanzenproduktion nicht nur aus einer vermeintlichen urbanen Wohlstandsgesellschaft heraus kritisiert werden, sondern auch im Inneren an Grenzen gestoßen sind. Die Regelung der Anbausysteme mit Hilfe des Pflanzenschutzes funktioniert bei weitem nicht mehr so, wie man es sich noch vor einigen Jahrzehnten vorgestellt hat. Die Erträge der wichtigen Kulturpflanzen stagnieren seit ca. 20 Jahren (also weit länger als durch eine aktuelle Pflanzenschutz-Zulassungssituation erklärlich) und viele Schaderreger sind aufgrund von Resistenzen nicht mehr mit Pflanzenschutzmitteln in Schach zu halten.
Da liegt es also nahe, ein Umdenken der Ackerbausysteme anzustoßen. Die Diskussion über die „Ackerbaustrategie“ wird dazu hoffentlich Impulse setzen. Auch eine Förderung von Biodiversität in der Agrarlandschaft sollte in die Strategie einfließen. Alles beides zusammen bedeutet: Weniger Abhängigkeit vom chemischen Pflanzenschutz und weniger Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Biodiversität kann nur in Situationen mit deutlich reduziertem PSM-Aufwand verbessert werden. Es müssen also entsprechende Räume, Flächen bzw. Situationen oder Anbaustrukturen geschaffen werden. Wie das im Einzelnen aussehen kann, muss nun diskutiert werden. Hier müssen wir aber glücklicherweise nicht bei null beginnen, denn seit den späten Achtzigerjahren ist eine Vielzahl von Maßnahmen erprobt worden. Das Mitwirken der Landwirte muss aber künftig stärker als bisher eingefordert werden. Die Umsetzung des „Greening“ war erfolglos.
Diejenigen, die für mehr Biodiversität in der Agrarlandschaft streiten, sollten aber auf die Landwirte zugehen, die ehrliche Angebote zum Erhalt der Vielfalt machen. Das Management der Agrarlandschaft geht nur mit den Landwirten zusammen. Weiterhin benötigen wir realistische Ziele. Der Zustand von 1850 wird nicht wieder herzustellen sein. Es muss vielmehr darauf ankommen, sichtbare Leistungen zur Verbesserung der Vielfalt auch anzuerkennen und sich durchaus einmal weniger im Detail zu verlieren. Pragmatische Ansätze sind gefordert und Biodiversität muss auch Spaß machen dürfen.
Biodiversität in der Agrarlandschaft war historisch immer ein „Neben“-Produkt der Landwirtschaft. Dazu muss es wieder gemacht werden.
Dr. Carolin von Kröcher, Pflanzenschutzamt der Landwirtschaftskammer Niedersachsen:
Diese Frage ist nicht mit einem klaren Ja oder Nein zu beantworten. Klar ist jedoch, dass jede landwirtschaftliche Nutzung und somit auch jede Pflanzenschutzmaßnahme, sei sie chemisch, biologisch oder mechanisch, einen Eingriff in den jeweils auf der Fläche bestehenden Naturraum hat.
Macht man sich also Gedanken über die Verbindung oder auch Vereinbarkeit von Pflanzenschutz und Biodiversität, spielt die Abwägung der jeweiligen Güter eine entscheidende Rolle. Das ist zum einen Ertrag und Qualität und damit die dauerhafte Sicherstellung der Ernährung – dies ist so auch im Pflanzenschutzgesetz festgelegt. Auf der Seite der Biodiversität gilt es, die Vielfalt von Flora und Fauna bestmöglichst zu erhalten. Im Pflanzenschutzgesetz ist dazu festgelegt, dass bei der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln keine Schäden an der Gesundheit von Mensch und Tier sowie am Naturhaushalt entstehen dürfen.Der Idealzustand wäre also, wenn es hier zu einem stabilen Gleichgewicht käme.
Die Verwendung von unbestimmten Begriffen wie „bestmöglichst“ und „dauerhaft“ zeigt jedoch, wie schwierig es ist, klare Definitionen und spezifische Maßnahmen zu beschreiben. Auf jeden Fall erfolgt im Zulassungsverfahren von Pflanzenschutzmitteln im Hinblick auf deren mögliche Auswirkungen auf Nichtzielorganismen eine Nutzen-/Risikoabschätzung nach vorgegebenen Prüfverfahren. Bezogen auf die PSM-Anwendung greift der Integrierte Pflanzenschutz. Dieser beschreibt im Grundsatz die Vereinbarkeit von Pflanzenschutz und Biodiversität unter der Prämisse, dass es ohne chemischen Pflanzenschutz derzeit nicht gelingt, Ertrag und Qualität ausreichend zu sichern. Damit dies auch in der Realität und vor allem in jeder Situation wirklich greifen kann und der Integrierte Pflanzenschutz nicht zu einem theoretischen Denkmodell oder eine reine Rechtsvorgabe verkommt, darf in Forschung, der Ausbildung zur Sachkunde im Pflanzenschutz und vor allem bei der Beratung von Pflanzenschutzmaßnahmen nicht nachgelassen werden.
Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln ist und bleibt dabei die letzte Maßnahme in einem vorher ausgeglichenen System aus pflanzenbaulichen Variablen wie Fruchtfolge, Bodenbearbeitung, Aussaatzeitpunkt, Sortenwahl usw. Unter diesen Bedingungen sollte es auch langfristig möglich sein, die oben genannten Ziele effektiv miteinander zu verbinden.
M.Sc. Sebastian Streit, Doktorand, Abteilung Pflanzenpathologie und -schutz, Universität Göttingen:
Die gesellschaftlichen Leistungen des modernen, integrierten Pflanzenschutzes werden von Weiten der Gesellschaft häufig nicht anerkannt, dabei leistet dieser doch wichtige Beiträge: Erstens dient er der Erntesicherung, indem er vor quantitativen und auch qualitativen Ernteverlusten schützt. Zweitens dient er aber auch der Erhöhung der Ressourceneffizienz. So konnten Studien nachweisen, dass moderner Pflanzenschutz zu einer Verbesserung der Wassernutzungseffizienz (+ 38 %), der Stickstoffnutzungseffizienz (+ 85 %) und der Energienutzungseffizienz (+25 %) beiträgt.
In puncto Biodiversität gilt es grundsätzlich zu berücksichtigen, dass die Kultivierung von Landflächen unweigerlich zu einer Reduktion der Biodiversität führt. Dies kann auch erklären, warum Noleppa (2016) feststellen konnten, dass – im Vergleich zur unbehandelten Naturfläche – auch der ökologische Landbau die Biodiversität um 67% pro Flächeneinheit reduzierte (konventioneller Anbau Reduktion um 86%). Wenn man aber berücksichtigt, dass die Erträge im ökologischen Landbau um ca. 50% geringer ausfallen, dann zeigt sich: Bezogen pro Einheit Produkt wird die Biodiversität im ökologischen Landbau um 67%, im konventionellen Landbau hingegen nur um 43% reduziert.
Grundsätzlich muss jedoch konstatiert werden, dass ein Rückgang der Biodiversität besteht. Die Gründe dafür sind mannigfaltig und man geht von einem multikausalen Zusammenhang aus. Auch die relative Bedeutung einzelner Faktoren ist noch nicht ausreichend bekannt. Es gilt jetzt, die Gründe zu erforschen und auch zu reagieren, wobei dies nicht voreilig erfolgen sollte.
Es zeigt sich, dass Pflanzenschutz und Biodiversität auf ein und derselben Fläche nicht gleichzeitig maximal groß sein können. Allerdings kann moderner Pflanzenschutz aufgrund seiner Flächeneffizienz im Sinne eines land-sparing-Ansatzes Raum schaffen für intensive Produktion auf den für die Landwirtschaft am besten geeigneten Flächen und den gleichzeitigen Erhalt bzw. die Schaffung natürlicher Habitate auf weniger produktiven Flächen. Hier ist die Agrarpolitik gefordert, Anreizsysteme zu schaffen und neue Technologie zur nachhaltigen Landnutzung offen gegenüberzustehen. Dabei sollten ökologische Leitbilder definiert werden, die zukunftsorientiert sind, nicht solche, die retrospektiv ausgerichtet sind.
Dr. Sebastian Lakner, Abteilung Agrarpolitik, Universität Göttingen:
Grundsätzlich sind Pflanzenschutz und Biodiversität Gegensätze, die sich zunächst nicht so einfach verbinden lassen. Einerseits herrschen in Mitteleuropa gute Produktionsbedingungen (Klima, Böden) vor. Die landwirtschaftliche Produktion ist ein wichtiges Ziel, der Pflanzenschutz ist dabei eine wichtige Maßnahme zur Ertragssicherung. Andererseits stellen wir fest, dass die Agrarbiodiversität seit vielen Jahren zurückgeht, was 2017 durch die Krefelder Studie (Hallman et al. 2017) erneut belegt wurde. Die gesellschaftliche Aufgabe besteht darin, beide Ziele, nämlich Produktion und den Erhalt der Biodiversität zu verbinden. Hierzu sollten auch die Agrarwissenschaften einen Beitrag leisten.
Der Rückgang der Biodiversität zeigt ein langjähriges Markt- und Politikversagen. Die Politik hat seit den 1980er Jahren auf den Rückgang der Biodiversität nur langsam und unzureichend reagiert. Zwar hat Gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP) einen Umweltschwerpunkt, allerdings sind Maßnahmen wie z.B. Greening wenig effektiv und ineffizient. Welche politischen Maßnahmen könnten zum Erhalt beitragen:
- Freiwillige Maßnahmen: Betriebe können freiwillig zum Erhalt der Biodiversität beitragen, unterstützt durch die fachliche Naturschutzberatung.
- Steuerrecht: Die Einführung einer Pflanzenschutzmittelsteuer wäre zwar z.B. einem Verbot von Glyphosat vorzuziehen, allerdings gibt bei der Steuer einige methodische Herausforderungen, so dass unklar ist, ob und in welchem Maße eine Steuer zum Erhalt der Biodiversität beitragen kann.
- Förderpolitik: Im Rahmen der GAP lassen sich biodiversitätsfreundliche Agrarsystem fördern. Der Ökolandbau bietet als integrativer Ansatz den Vorteil, dass er die Biodiversität schützt und gleichzeitig bei den Verbrauchern hohe Akzeptanz genießt. Allerdings kann auch der Ökolandbau die Probleme nicht alleine lösen. Zusätzlich sollten die hochwirksamen (dunkelgrünen) Agrarumweltmaßnahmen ausgebaut werden, die gezielt zum Erhalt der Biodiversität beitragen. Die Förderung von Brachflächen und Landschaftselementen sind ebenfalls wichtig für den Erhalt der Biodiversität.
- Die Entwicklung eines Naturschutz-Labels ist interessant, um für die Betriebe einen Mehrwert durch Biodiversität zu entwickeln.
- Ein Dialog zwischen Landwirtschaft, Verbrauchern und dem Naturschutz wäre wichtig, um gesellschaftliche Kompromisse zwischen Produktion und Biodiversität zu identifizieren.
Abstimmungsergebnisse: Vor der Debatte
Abstimmungsergebnisse: Nach der Debatte