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Update zur Veranstaltung: Vor und nach der Debatte baten wir das Publikum die Leitfrage per anonymer Online-Abstimmung zu beantworten. Hier sind die Ergebnisse:

Abstimmunsergebnisse

Bei der nächsten AgrarDebatten-Veranstaltung haben wir die Online-Abstimmung verbessert, dann sinkt die Zahl der „nicht-beendeten Teilnehmer“ hoffentlich.

Heute Nachmittag werden fünf Wissenschaftler im Rahmen der Veranstaltung AgrarDebatten.vorOrt über diese Frage diskutieren. Worum es genau bei der CRISPR/Cas9-Methode geht, erklärt dieses Video der Max-Planck-Gesellschaft.  Was der Europäische Gerichtshof dazu entschieden hat, wird in diesem Video der Tagesschau erklärt.

Die fünf Referenten haben zu dieser Entscheidung im Voraus zur heutigen Diskussion Stellung bezogen:

„Die Genehmigungspflicht belastet Wissenschaft und kommerzielle Pflanzenzucht“

Prof. Dr. Peter-Tobias StollBildschirmfoto 2018-10-23 um 12.55.34

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat entschieden, dass mithilfe des CRISPR-Verfahrens entwickelte Organismen nur mit einer gentechnikrechtlichen Genehmigung in die Umwelt freigesetzt oder in Verkehr gebracht werden dürfen. Das Urteil ist ein Weckruf für Politik und Wissenschaft: Die Wissenschaft kann mit einer Begleitforschung zu den Risikopotentialen für Gesundheit und Umwelt und zu Methoden der Risikoerfassung die weitere Entwicklung und Anwendung des vielversprechenden CRISPR Verfahren wesentlich unterstützen. Die Politik muss hierfür Anreize schaffen und die Angemessenheit des vor mehr als 20 Jahren etablierten europäischen Gentechnikrechts überprüfen, das ganz auf „große“ transgene Veränderungen zugeschnitten ist.

Obwohl die mit CRISPR vorgenommenen Veränderungen ihrer Art nach kaum von “natürlich” vorkommenden Mutationen zu unterscheiden sind, hat der Gerichtshof sie als „Gentechnik“ eingestuft. Er hat damit dem europäischen Gentechnikrecht entsprochen, dass sich an den eingesetzten Verfahren und dem entsprechenden Stand des Erfahrungswissens orientiert. Das Gentechnikrecht unterwirft die Anwendung vergleichsweise “neuer” Verfahren und ihre Ergebnisse dem oben angesprochenen strengen Genehmigungsverfahren, in dem fallbezogen der Nachweis der gesundheitlichen und umweltbezogenen Unbedenklichkeit erbracht werden muss. In dem Prozess ging es um die Genehmigungspflicht für die Freisetzung solcher Organismen in die Umwelt. Der Rechtsstandpunkt des Gerichts dürfte aber auch für die gentechnischen Arbeiten nach der “Systemrichtlinie” und für die Zulassungserfordernisse für Lebensmittel- und Futtermittel und die Kennzeichnung maßgeblich sein.

Die Genehmigungspflicht belastet Wissenschaft und kommerzielle Pflanzenzucht. Stellt sich heraus, dass im Hinblick auf das Risikopotential und das Erfahrungswissen die mit CRISPR bewirkten genetischen Veränderungen sich von der traditionellen Züchtung nicht nennenswert unterscheiden, so wäre zu fragen, ob mit Blick auf Verhältnismäßigkeit und Gleichbehandlung diese strenge Regulierung noch zu rechtfertigen ist oder wenigstens Erleichterungen im Verfahren angebracht sind.

Eine risikobezogene wissenschaftliche Begleitforschung trägt nicht nur zu Umwelt- und Gesundheitsschutz bei, sondern erleichtert Genehmigungsverfahren und schafft eine wesentliche Grundlage für eine Reform des Gentechnikrechts.

Prof. Dr. Peter-Tobias Stoll ist Inhaber des Jean Monnet Chair for European Union and Global Sustainable Development Through Law, Direktor am Institut für Völkerrecht und Europarecht und Direktor am Institut für Landwirtschaftsrecht.


„De facto ein Gentechnikverhinderungsgesetz“

Prof. Dr. Matin Qaimqaim

Bei den neuen Züchtungstechnologien handelt es sich um chirurgische Veränderungen am Pflanzengenom, meist mit Hilfe der CRISPR-Genschere, um spezielle Eigenschaften wie Schädlingsresistenzen oder Toleranzen gegen Klimastress hervorzurufen. CRISPR könnte eine wichtige Rolle für die Ernährungssicherung spielen und die Landwirtschaft gleichzeitig umwelt- und klimafreundlicher machen.

In seinem Urteil hat der EuGH nun entschieden, mit Hilfe von CRIPR entwickelte Pflanzen nach dem geltenden Recht für GVOs zu regulieren. Das ist überraschend, weil CRISPR-Pflanzen keine artfremden Gene enthalten. Bei Veränderungen mit der Genschere handelt es sich um Punktmutationen, die in gleicher Form auch natürlich oder mit klassischen Mutationszüchtungsverfahren entstehen könnten. Die Risiken von CRIPR sind deswegen nicht anders als die der klassischen Mutationszüchtung, so dass das EuGH-Urteil wissenschaftlich nicht nachvollziehbar ist.

Aber warum ist strengere Regulierung eigentlich schlimm? Man könnte doch annehmen, dass CRISPR auch die GVO-Regulierung meistern kann, wenn die Technologie so sicher ist. Die Praxis zeigt jedoch, dass jede Technologie an den Zulassungshürden für GVOs scheitert, egal wie sicher sie ist. Keine als GVO eingestufte Pflanze darf ohne Genehmigung angebaut oder in Verkehr gebracht werden. Die Beantragung erfordert Daten aus jahrelangen Risikoanalysen, die von Experten der EFSA geprüft werden. Aber die EFSA gibt nur Empfehlungen ab. Die eigentliche Entscheidung wird von der EU-Kommission getroffen, also von Politikern, die wegen der bekannten gesellschaftlichen Akzeptanzprobleme gar keine GVOs zulassen wollen, egal wie sicher diese sind. Die Empfehlungen der EFSA-Experten werden deshalb regelmäßig ignoriert. Die Kommission hat seit 1998 keine neuen GVOs zugelassen. Die GVO-Richtlinie ist de facto ein Gentechnikverhinderungsgesetz, welches nun gleichermaßen auch für CRISPR-Pflanzen gilt.

Aber das Urteil ist mehr als nur ein Bremsklotz für Europa, denn die GVO-Regulierung in der EU hat auch weitreichende Auswirkungen auf die Technologieentwicklung und -nutzung in anderen Teilen der Welt, speziell in Entwicklungsländern. Das EuGH-Urteil bremst und verhindert Innovation mit großem Potential für nachhaltige Ernährungssicherung. Die Überregulierung trägt zudem zu Monopolbildung auf den Saatgutmärkten bei.


„Grundlage für die Entwicklung vielfaltiger Züchtungsansätze“

Dipl.-Biol. Johannes Timaeustimaeus

Genome Editing ist fundamental anders als klassische Züchtungsansätze und deshalb muss transparent werden, dass diese Technologie eingesetzt wird. Dies gilt auch dann, wenn sich das Züchtungsergebnis nicht oder nur schwer von den Ergebnissen klassischer Züchtung unterscheiden lässt und es sich um sogenannte naturidentische gentechnisch veränderte Organismen handelt (nGVO). Die formal-rechtliche Deklaration von Genome Editing Technologien als Gentechnik vom EuGH ist dafür eine entscheidende Grundlage. Für eine aufgeklärte transparenzorientierte Agrarwirtschaft ist dies deshalb kein Bremsklotz, sondern ein Schritt nach vorn. Durch die klare Deklaration von Genome Editing als Gentechnik ermöglicht der EuGH die freie Entscheidung für verschiedene züchterische und landwirtschaftliche Optionen. Das ist auch eine wichtige Grundlage für die wirtschaftliche Entwicklung verschiedener Ansätze in der Züchtung und wir brauchen eine große Spannbreite züchterischer Ansätze für die Zukunft.

In in Praxis und Forschung wird zurzeit eine große Vielfalt alternativer Züchtungsansätze erprobt. Gerade laufen Forschungsprojekte, die die Möglichkeiten erkunden, durch Züchtung wieder mehr Vielfalt in die Landwirtschaft zu bringen. Hier wird untersucht, wie sich Kulturpflanzen an Mischkulturen anpassen lassen und wie man genetisch vielfältiger Kulturpflanzensorten- und Populationen züchten kann.

Auch die Züchtungsziele und die Gestalt der Kulturpflanzen können ganz verschieden sein. Darin kommen unsere gesellschaftlichen Werte und Vorstellungen – z.B. vom Umgang mit Lebewesen und unserer Umwelt – zum Ausdruck. Deshalb spricht man auch von Kultur-Pflanzen. Ein konkretes Beispiel ist der Weizen. Moderne Weizensorten sind sogenannte Zwerg- oder Halbzwergsorten. Dadurch halten diese maximale Mengen synthetischer Nitratdünger aus ohne umzukippen. Dafür aber sind diese weniger konkurrenzfähig gegen Unkräuter und abhängig von Herbiziden. Mittlerweile gibt es aber auch eine Reihe ökologischer Züchter, die andere Wege gehen und die anders gestaltete (höher und konkurrenzfähigere) Weizenpflanzen züchten.

Umgekehrt liegt ein zentrales Risiko bei Genome Editing Technologien in einer Verstärkung von Konzentrationsprozesse bei der Züchtung. Dies liegt einerseits in der grundlegenden Patentierbarkeit von Gentechnik begründet und andererseits darin, dass diese Technologie durch die benötigten genetischen Sequenzinformationen und Technologien sehr kapitalintensiv ist.


Neun Thesen zu Genome-Editing und Gesellschaft nach dem EuGH-Urteil

Prof. Dr. Achim Spillerspiller

1. Die Einführung der Grünen Gentechnik ist Mitte der 1990er Jahre im Wesentlichen an zwei Punkten gescheitert: a) Konzentration auf die Kombination mit Pflanzenschutz (kein Consumer-Benefit) und b) Einführung ohne gesellschaftlichen Dialog (Monsantos Einführung mit der „Brechstange“).

2. Die gesellschaftliche Position ist derzeit stabil ablehnend und festgefahren, der GVO-Diskurs wurde von den Kritikern in den letzten Jahren erfolgreich erweitert (Monopolisierung im Saatgutsektor, Patente, Bienen, etc.).

3. Die Auseinandersetzung um Gentechnik ist insgesamt Teil eines polarisierten Diskurses um die Land- und Lebensmittelwirtschaft. Anti-GVO ist Teil des Markenkerns der „Agraropposition“.

4. Neue Züchtungsmethoden sind derzeit beim Bürger noch weitgehend unbekannt (3,7 % haben von CRISPR/Cas schon mal gehört).[1]

5. Bürger sind daher in der Bewertung unsicher, aber wollen auf jeden Fall Transparenz (74 % fordern Kennzeichnung von CRISPR/Cas, Lüdecke 2018).

6. Das EuGH-Urteil hat die Position derjenigen in der „Agraropposition“ (Umweltverbände, Biobranche, Grüne) geschwächt, die Genome Editing als Chance sehen.

7. Eine Veränderung des EU-Gentechnikrechts, um Genome Editing aus dem Gentechnikrecht rauszunehmen und Produkte ohne Kennzeichnung einzuführen, wird aller Voraussicht nach auf heftigen Widerstand stoßen.

8. Ist es aus Sicht der Befürworter von Genome Editing geschickt, auf die geringe „Natürlichkeit der klassischen Züchtung (Bestrahlung, Chemikalieneinsatz) zu verweisen? Solche Aussagen stärken die Natürlichkeitspräferenzen der Verbraucher und die grundsätzliche Skepsis gegen Züchtung insgesamt.

9. Wie könnte sich Genome Editing doch noch in der EU etablieren? Züchtung fokussieren auf gesellschaftlichen und Verbraucher-Benefit (Trockenheitsresistenz, Animal Welfare etc.) bei größtmöglicher Transparenz („right to know approach“, unabhängige Risikoforschung, neue Diskursformen, auch Schwachstellen benennen).

[1] Bachelorarbeit Lüdecke, U. (2018), unveröffentlichte Verbraucherbefragung von 300 repräsentativ ausgewählten Verbrauchern in Deutschland, Uni Göttingen.

„Schwer nachzuvollziehen“

Prof. Dr. Henner Simianer simianer

Genome Editing (GE) mit dem Crispr/CAS9-System eröffnet aus züchterischer Sicht zunächst einmal neue und vielversprechende Möglichkeiten. Die Technik ist sehr viel einfacher und hat deutlich höhere Erfolgsquoten und weniger ‚Nebeneffekte‘ im Sinne von off-target Veränderungen als herkömmliche Methoden. Es handelt sich dabei aber immer noch um eine neue Technologie, deren Einsatz optimiert und erprobt werden muss.

Grundsätzlich muss zwischen verschiedenen Varianten des GE unterschieden werden:

  1. Das gezielte Setzen einer Mutation an einer bestimmten Stelle mit einer ‚zufälligen‘ Veränderung des Genoms
  2. Die gezielte Entfernung einer Basensequenz, z.B. im Sinn eines ‚Knock-outs‘
  3. Das gezielte Ersetzen einer Sequenz durch eine
    1. aus der gleichen Spezies stammende Sequenz oder
    2. aus einer anderen Spezies stammende Sequenz

Für alle Szenarien liegen bereits Beispiele vor, so wurde z.B. die Hornlosigkeit beim Rind von genetisch hornlosen Fleischrassen auf die üblicherweise behornte Holstein-Friesian Rasse übertragen (3.1.). Ebenso wurde ein Resistenzgen gegen die Schweinekrankheit PRRS vom resistenten Warzenschwein auf das anfällige Hausschwein übertragen (3.2.). Schon diese zwei Beispiele zeigen, dass mittels GE ausgesprochen wünschenswerte Veränderungen vorgenommen werden können. Insbesondere für die Variante 3a gilt auch, dass sich am Produkt (also dem editierten Organismus bzw. seinen Nachkommen) die Veränderung in der Regel nicht nachweisen lässt, da ja nur eine Genvariante durch eine andere, in der gleichen Art vorkommende Variante ersetzt wurde.

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs hat zur Folge, dass durch alle Varianten von GE entstandene Nachkommen oder Linien als ‚genetisch modifizierte Organismen‘ (GMOs) betrachtet werden und das Inverkehrbringen an entsprechend hohe Hürden geknüpft ist. Es ist schwer nachzuvollziehen, warum z.B. die ungezielte Mutagenese mittels Bestrahlung oder Chemikalien im Bereich der Pflanzenzüchtung eine anerkannte und unregulierte Züchtungstechnik sein kann, während die weniger problematische gezielte Induktion von Mutationen (Variante 1) unter die GMO-Richtlinie fällt.

Das Urteil wird zur Folge haben, dass in der Pflanzenzüchtung GE als Züchtungstechnik, wenn überhaupt, in Europa nur von den multinationalen Züchtungsunternehmen genutzt werden kann, da für kleine und mittelständische Zuchtunternehmen der Aufwand, eine als GMO klassifizierte Sorte zuzulassen, kaum zu stemmen ist. Im Bereich der Tierzüchtung wird es sich aufgrund der fehlenden Nachweismöglichkeit nicht vermeiden lassen, dass Nachkommen von transgenen Tieren (z.B. im Fall der Hornlosigkeit bei Rindern) im europäischen Markt angeboten werden und dadurch europäische Zuchtunternehmen einen gravierenden Wettbewerbsnachteil haben werden.

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