Skip to main content

– ein Beitrag von Elisa Bayer, Dr. Marie von Meyer-Höfer und Sarah Hölker, Abteilung Marketing für Lebensmittel & Agrarprodukte, Universität Göttingen

Die jüngsten Ereignisse um Corona-Ausbrüche in deutschen Schlachthöfen rückten erneut die vorherrschenden Missstände in der deutschen Schlachtbranche in den Fokus der öffentlichen Diskussion. Die Arbeit des Schlachtens und Zerlegens ist psychisch wie körperlich sehr beanspruchend, wird aber oftmals nur mangelhaft gewürdigt bzw. bezahlt.

Die schlechten Arbeitsbedingungen und der hohe Zeitdruck, den die automatisierten Schlachtbänder vorgeben, sind nicht nur für die Mitarbeiter gesundheitsgefährdend, sondern wirken sich vielfach auch negativ auf den Umgang mit den Tieren aus. Laut der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) stellen die unzureichende Ausbildung sowie Erschöpfung des Personals ein ernsthaftes Tierschutzproblem dar (EFSA 2020). Defizite sind dabei in allen Bereichen auszumachen: vom Transport, der Entladung, der Betreuung der Tiere im Wartebereich, deren Betäubung und Schlachtung bis hin zum Umgang mit verletzten und nicht schlachtfähigen Tieren (Deutscher Tierschutzbund 2010, Fötschl 2013, Niedersächsisches Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz 2019). Diese Missstände sind seit langem bekannt, doch bis heute kam es in den Schlachthöfen zu keiner Verbesserung.

Bei unangekündigten Kontrollen von 62 Schlachthöfen zwischen November 2018 und März 2020 in Niedersachsen, wurden in 58 Betrieben Mängel beim Tierschutz festgestellt. Insbesondere bei der Betäubung und Schlachtung der Tiere kommt es regelmäßig zu tierschutzrelevanten Verstößen (Neue Osnabrücker Zeitung 2020). Auch bei angekündigten Kontrollen von kleinen und mittelständischen Schlachthöfen im Regierungsbezirk Darmstadt (2014-2017), wurden bei allen 31 kontrollierten Schlachtbetrieben Tierschutzverstöße festgestellt (Albert Schweitzer Stiftung 2019).

Eine mangelhafte Wartung der Geräte sowie eine unsachgemäße Anwendung, z.B. aufgrund unzureichender Ausbildung und Schulung des Personals, führt oftmals zu schwerwiegenden Fehlern bei der Betäubung der Tiere (Niedersächsisches Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz 2019, Albert Schweizer Stiftung 2019, EFSA 2020). Des Weiteren ist die heute gängige Betäubung von Schweinen mittels hochkonzentriertem CO2 als ernsthaftes Tierschutzproblem einzustufen (EFSA 2020), da die Tiere bis zu ihrer Bewusstlosigkeit oftmals starke Atemnot, Schmerzen und Angst erleiden (Machtolf und Troeger 2012, Machtolf et al. 2013, Eurogroup for Animals 2019, EFSA 2020). Damit ist die deutsche Schlachtbranche durch zum Teil gravierende Mängel im Arbeits- und Tierschutz geprägt.

Doch wie steht es um die Schlachtung von Bio-Tieren? Bietet Bio auch bei der Schlachtung mehr Tierwohl?

„Ein Leiden der Tiere, Schmerzen und Stress sind während ihrer gesamten Lebensdauer sowie bei der Schlachtung zu vermeiden und so gering wie möglich zu halten“ (EU-Öko-VO 2018). Dies ist der einzige Satz, den die EU-Öko-Verordnung zum Thema Schlachtung enthält. Einige Bio-Verbände geben deshalb weitere Vorgaben zu Transport und Schlachtung vor. Beispielsweise schreibt Bioland vor, dass Schweine nur in genehmigten Ausnahmefällen mit CObetäubt werden dürfen und die Transportdauer 4 Stunden nicht überschreiten darf (Bioland 2016, Bioland 2019).

„Anders als vielleicht von manchem Verbraucher erhofft, bestehen für die Schlachtung von Bio-Tieren also keine besonderen Regelungen und es greifen lediglich die EU-weit geltenden Vorgaben der Tierschutz-Schlachtverordnung.“

Zwar benötigen Schlachthöfe zur Schlachtung von Bio-Tieren eine Zertifizierung, diese bezieht sich jedoch ausschließlich auf die getrennte Schlachtung und Verarbeitung der Bio-Tiere und enthält keine Regelungen zum Schlachtvorgang an sich. Die Schlachtung von Bio-Tieren unterscheidet sich damit nicht wesentlich von der der konventionell gehaltenen Tiere und erfolgt in denselben Schlachthöfen (Ökolandbau 2018, Ökolandbau 2020a). Auch alle großen deutschen Schlachtunternehmen wie Tönnies, Vion, Westfleisch und Danish Crown betreiben Schlachthöfe, die über eine Bio-Zertifizierung verfügen (Westfleisch 2010, Tönnies o. J., Vion o. J., Danish Crown o. J.). Die Bio-Zertifizierung eines Schlachthofes garantiert also weder bessere Arbeitsbedingungen noch ein höheres Tierschutzniveau, sondern lediglich die getrennte Verarbeitung.

Allerdings gibt es auch alternative Ansätze zur stressfreien und schonenden Schlachtung von Tieren. Diese werden vor allem im Bio-Bereich eingesetzt und weiterentwickelt. Beispiele hierfür sind der Einsatz von Schlachtmobilen oder der Weideschuss. Sie sollen den Tieren Stress ersparen und die Fleischqualität verbessern (Bioland o. J., Ökolandbau 2020b). Auch gibt es besonders tierwohlorientierte Schlachthöfe, welche sich auf eine schonende Schlachtung spezialisiert haben, wie der Naturverbund-Schlachthof in Wachtendonk. Dieser setzt auf kurze Transportwege, eine Mindesteingewöhnungszeit der Tiere am Schlachthof von sechs Stunden, einen ruhigen und stressarmen Umgang sowie faire Löhne und geschultes Personal (Naturverbund 2020).

Handlungsempfehlungen

So schlimm die aktuellen Geschehnisse sind, sie könnten auch einen wichtigen Wendepunkt markieren. Auf den inzwischen wissenschaftlich belegten stetigen Wertewandel im Umgang mit Tieren, der sich seit Anfang des letzten Jahrhunderts immer deutlicher abzeichnet, wurde bisher sowohl von Seiten der Politik als auch von der Branche nur sehr zögerlich und wenig zufriedenstellend eingegangen (Ermann 2018, Frey und Pirscher 2018, von Meyer-Höfer et al. 2019). Dabei handelt es sich bei der veränderten Mensch-Tier-Beziehung nicht um eine vorübergehende Zeiterscheinung, sondern um einen Megatrend (Spiller et al. 2016). Daher ist es für alle Bereiche der Tiernutzung nun Zeit, eine grundlegende Transformation einzuleiten. Denn nur so ist es möglich, die gesellschaftliche Legitimation der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung und Fleischproduktion langfristig zu erhalten (Goodman und Check 2002, Schwalm 2007, De Jonge und van Trijp 2013, Sandøe et al. 2016, Frey und Pirscher 2018).

Studien bestätigen, dass die Meinung der Mensch darf mit Tieren umgehen wie er möchte, ohne dabei Rücksicht auf ihr Wohlergehen nehmen zu müssen, schon seit längerem von der deutschen Bevölkerung fast gänzlich abgelehnt wird (Spiller et al. 2015; Hölker et al. 2019). Dies inkludiert auch den Prozess der Schlachtung. Ausgesprochen hoch ist hingegen die Zustimmung, wenn es darum geht, einen „fairen Deal“ einzugehen. Sprich der Mensch darf Tiere nutzen, wenn ihnen im Gegenzug ein möglichst gutes Leben ermöglicht wird (Hölker et al. 2019). Der Gedanke des fairen Deals darf wohl spätestens seit den aktuellen Geschehnissen auch auf die fairen Arbeitsbedingungen in der Tierhaltung und Fleischproduktion übertragen werden. Deutliche Verbesserungen im Arbeits- und Tierschutz sind für die Branche damit unerlässlich. Auch sollte der Prozess der Schlachtung bei der Transformation der Agrarbranche hin zu mehr Nachhaltigkeit und Tierwohl unbedingt mit einbezogen werden. Denn das Bio-Leben der Tiere und auch das Wohl aller anderen Tiere, sollte nicht mit dem Gang auf den Transporter enden, sondern erst bei ihrem Tod.

Literatur:

Albert Schweitzer Stiftung (2019): Kleine Schlachthöfe: 44 % Fehlbetäubungen. URL: https://albert-schweitzer-stiftung.de/aktuell/kleine-schlachthoefe-fehlbetaeubungen. Stand [10.05.2019].

Bioland (2016): Bioland-Richtlinien für die Verarbeitung. Fleisch und Fleischerzeugnisse. URL:http://www.rebio.de/wordpress/wp-content/uploads/2016/11/Richtlinien_Fleisch_und_Fleischerzeugnisse_07.11.2016.pdf. Stand [07.11.2016].

Bioland (2019): Bioland Richtlinien. Fassung vom 25. November 2019. Online im Internet. URL: https://www.bioland.de/fileadmin/user_upload/Verband/Dokumente/Richtlinien_fuer_Erzeuger_und_Hersteller/Bioland_Richtlinien_25_Nov_2019.pdf.

Bioland (ohne Jahr): Im Stall und auf der Weide. URL: https://www.bioland.de/fragen-und-antworten/bioland-tiere. %5B03.07.2020%5D.

Danish Crown (ohne Jahr): Unsere Standorte. Teterow. URL: https://www.danishcrown.com/de-de/kontakt/unsere-standorte/danish-crown-beef-locations/teterow. Stand [01.07.2020].

De Jonge, J., Van Trijp, H.C.M. (2013): Meeting Heterogeneity in Consumer Demand for Animal Welfare. A Reflection on Existing Knowledge and Implications for the Meat Sector. In: Journal of Agricultural and Environmental Ethics 26 (3): 629–661.

Deutscher Tierschutzbund (2010): Tierschutzrelevante Missstände bei der Schlachtung und Möglichkeiten der Verbesserung. URL: https://www.tierschutzbund.de/fileadmin/user_upload/Downloads/Hintergrundinformationen/Landwirtschaft/Praesentation_Schlachten_Missstaende_Verbesserungen.pdf. Stand [21.11.2010].

EFSA (2020): Welfare of pigs at slaughter. In: EFSA Journal 2020;18(6):6148, 113 pp. https://efsa.onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.2903/j.efsa.2020.6148.

Ermann, M. (2018): Stakeholderorientiertes Kommunikationsmanagement in der Agrar- und Ernährungswirtschaft. Dissertation. Schriftenreihe Agrarwissenschaftliche Forschungsergebnisse, Heft 79. Verlag Dr. Kovač, Göttingen.

Eurogroup for Animals (2019): Stunning/Killing of pigs with high concentrations of CO². Position Paper. URL: https://www.eurogroupforanimals.org/sites/eurogroup/files/2020-03/CO2%20stunning%20EfA%20position%20paper%202019.pdf.

EU-Öko-VO (2018): Verordnungen (EU) 2018/848 des europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2018, über die ökologische/biologische Produktion und die Kennzeichnung von ökologischen/biologischen Erzeugnissen sowie zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 834/2007 des Rates.

Fötschl, H. (2013): Tierschutzvergehen am Schlachthof. In: Tierschutz Anspruch – Verantwortung – Realität. 4. Tagung der Plattform Österreichische TierärztInnen für Tierschutz. URL: https://www.vetmeduni.ac.at/fileadmin/_migrated/content_uploads/4_OETT-Tagungsband_130502.pdf#page=35.Zugriff [01.07.2020].

Frey, U.J., Pirscher, F. (2018): Willingness to pay and moral stance: The case of farm animal welfare in Germany. In: PloS one 13 (8): e0202193.

Goodman, S., Check, E. (2002): The great primate debate. In: Nature (417): 684–687.

Hölker, S., von Meyer-Höfer, M., Spiller, A. (2019): Animal Ethics and Eating Animals: Consumer Segmentation Based on Domain-Specific Values. In: Sustainability, 11, 3907; https://doi.org/10.3390/su11143907. 

Machtolf, M., Troeger, K. (2012): Untersuchungen zu nicht aversiv wirkenden Gasnarkoseverfahren für Schlachtschweine. Abschlussbericht, Max-Rubner-Institut Kulmbach. URL: http://www.toennies-forschung.de/download/projekte/nicht-aversiv-wirkende-gasnarkoseverfahren/abschlussbericht_nicht-aversiv-wirkende-gasnarkoseverfahren_2012.pdf.

Machtolf, M., Moje, M., Troeger, K., Bülte, M. (2013): Die Betäubung von Schlachtschweinen mit Helium. URL: https://www.openagrar.de/receive/openagrar_mods_00007981.

Naturverbund (2020): Schonende Schlachtung in Wachtendonk/NRW. ULR: https://naturverbund.de/schlachthof-wachtendonk-nrw/. Stand [01.07.2020].

Neue Osnabrücker Zeitung (2020): Schlachthof-Kontrollen in Niedersachsen: Viele Mängel bei Tierschutz und Hygiene entdeckt. URL: https://www.presseportal.de/pm/58964/4586624. Stand [04.05.2020].

Niedersächsisches Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (2019): Merkblatt tierschutzrelevanter Mängel bei der Schlachtung. URL: https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=&ved=2ahUKEwio__OqkKzqAhWS6aQKHQoLAjkQFjAAegQIBRAB&url=https%3A%2F%2Fwww.ml.niedersachsen.de%2Fdownload%2F149703%2FMerkblatt_tierschutzrelevante_Maengel_bei_der_Schlachtung.pdf&usg=AOvVaw0O_fDWawdHz8-WJ6uBM7w7. Stand [12.11.2019].

Ökolandbau (2018): Transport und Schlachtung. URL: https://www.oekolandbau.de/verarbeitung/produktion/verfahren/fleisch-und-wurstwaren/transport-und-schlachtung/. Stand [11.01.2018]

Ökolandbau (2020)a: Bio-Schlachthöfe in Deutschland. URL: https://www.oekolandbau.de/verarbeitung/einkauf/landwirtschaftliche-zutaten/fleischprodukte/bio-schlachthoefe/. Stand [20.05.2020].

Ökolandbau (2020)b: Schlachten im Haltungsbetrieb: Weniger Stress, bessere Fleischqualität. URL: https://www.oekolandbau.de/landwirtschaft/tier/spezielle-tierhaltung/rinder/mutterkuhhaltung/schlachtung/. Stand [10.01.2020].

Sandøe, P., Corr, S., Palmer, C. (Hrsg.) (2016): Companion animal ethics. UFAW animal welfare series. John Wiley and Sons, Chichester, UK.

Schwalm, T. (2007): „No Circus without Animals“?: Animal Acts and Ideology in the Virtual Circus. In: SIMMONS, L. und P. ARMSTRONG (Hrsg.): Knowing animals. Human Animal Studies (4). Brill, Leiden: 79–104.

Spiller, A., Gauly, M., Balmann, A., Bauhus, J., Birner, R., Bokelmann, W., Christen, O., Entenmann, S., Grethe, H., Knierim, U., Latacz-Lohmann, U., Martinez, J., Nieberg, H., Qaim, M., Taube, F., Tenhagen, B. A., Weingarten, P. (2015): Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung. In: Berichte über Landwirtschaft, Sonderheft Nr. 221.

Spiller, A., Von Meyer-Höfer, M., Sonntag, W.I. (2016): Gibt es eine Zukunft für die moderne konventionelle Tierhaltung in Nordwesteuropa? Diskussionspapier Nr. 1608. Department für Agrarökonomie und Rurale Entwicklung, Universität Göttingen.

Tönnies (ohne Jahr): Unsere Verantwortung gemeinsam mit den Erzeugern. URL: https://toennies.de/verantwortung/nachhaltigkeitsthemen/tierwohl-in-der-tierhaltung/. Stand [01.07.2020].

Vion Food Group (ohne Jahr): Vion Perleberg GmbH. URL: https://www.vion-transparenz.de/standorte/perleberg/. Stand [01.07.2020].

Von Meyer-Höfer, Heise, M. H., Schütz, A., Spiller, A., Winkel, C., Grimberg-Henrici, C., Krieter, J., Gier, N., Krampe, C., Kenning, P., Tölle, K.H., Hölscher, R. (2019): Ergebnisbericht: Virtueller Stall der Zukunft. Konsortium des Verbundprojektes „Virtueller Stall der Zukunft“, Göttingen.

Westfleisch (2010): Nachhaltigkeitsbericht Westfleisch. URL: https://www.westfleisch.de/fileadmin/Bilder/02_Unternehmen/02.07_Archiv/NHB/2010/NHB_2010-2.pdf.  


 

Die Förderung des Vorhabens erfolgt aus Mitteln des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages. Die Projektträgerschaft erfolgt über die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) im Rahmen des Bundesprogramm Ökologischer Landbau und andere Formen nachhaltiger Landwirtschaft.

Förderkennzeichen: 2818OE097

Kommentar verfassen