Ein Beitrag von Rainer Münch. Stand: 06. März 2025, 18:06 Uhr. Der Text wurde vollständig übernommen: Copyright © by AGRA-EUROPE Presse- und Informationsdienst GmbH.
Kurzfassung
Eine funktionierende Infrastruktur ist nicht nur eine wichtige Vorleistung für die Wirtschaft, sondern ein entscheidender Motor der gesellschaftlichen Integration. Darauf haben Fachleute mit Blick auf das von der künftigen Regierungskoalition geplante Sondervermögen hingewiesen. Infrastrukturpolitik muss laut div die Belange von Frauen in ländlichen Räumen berücksichtigen. Neben den Defiziten in der Infrastruktur muss dem Landkreistag zufolge die drohende finanzielle Handlungsunfähigkeit der Kommunalhaushalte abgewendet werden.
”Jahrelang wurden die mehr als notwendigen Investitionen in die Infrastruktur und Daseinsvorsorge verschleppt. Bis Brücken zusammenkrachten, die Deutsche Bahn Rekordverspätungen einfuhr und das letzte Freibad am Ort wegen lebensgefährdender Mängel geschlossen werden musste.
Prof. Dr. Claudia NeuInhaberin des Lehrstuhls Soziologie ländlicher Räume an den Universitäten Göttingen und Kassel
BERLIN. Das von Union und SPD geplante 500 Milliarden Euro schwere Sondervermögen für Infrastruktur bietet nach Einschätzung von Fachleuten eine historische Chance für ländliche Räume. Darauf hat die Vorsitzende des Sachverständigenrats Ländliche Entwicklung (SRLE) beim Bundeslandwirtschaftsministerium, Prof. Claudia Neu, gegenüber AGRA Europe hingewiesen. Eine funktionierende Infrastruktur sei nicht nur eine wichtige Vorleistung für die Wirtschaft, sondern ein entscheidender Motor der gesellschaftlichen Integration, so die Inhaberin des Lehrstuhls Soziologie ländlicher Räume an den Universitäten Göttingen und Kassel. Mit gezielten Investitionen in ländliche Räume könnten im besten Fall dem Narrativ der „abgehängten Regionen“ begegnet und Vertrauen in die Demokratie zurückgewonnen werden.
Laut der Präsidentin des Deutschen LandFrauenverbandes (dIv), Petra Bentkämper, muss eine zukunftsfähige Infrastruktur die Lebensrealitäten von Frauen in ländlichen Räumen berücksichtigen. „Infrastrukturpolitik ist immer auch Gleichstellungspolitik“, so Bentkämper. Noch immer verließen mehr Frauen als Männer die ländlichen Räume. Dem könne das Infrastrukturpaket entgegenwirken. Für die div-Präsidentin steht außer Frage, „eine starke, geschlechtergerechte Infrastruktur stärkt ländliche Regionen – und damit unser ganzes Land.“
Unterdessen warnte der Präsident des Deutschen Landkreistages, Dr. Achim Brötel, davor, die aktuellen Herausforderungen der Landkreise, Städte und Gemeinden auf die Infrastruktur zu reduzieren. „Unser Grundproblem ist die drohende finanzielle Handlungsunfähigkeit unserer Kommunalhaushalte“, stellte der Landrat fest. Sie rühre daher, dass der Staat den Kommunen in den letzten Jahren immer mehr, immer kompliziertere und vor allem auch immer teurere Aufgaben übertragen habe, ohne für eine ausreichende Gegen-finanzierung zu sorgen.
Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse stärken
„Jahrelang wurden die mehr als notwendigen Investitionen in die Infrastruktur und Daseinsvorsorge verschleppt“, heißt es in der Stellungnahme von Neu für AGRA Europe. Im Ergebnis seien „Brücken zusammengekracht“, habe die Deutsche Bahn Rekordverspätungen eingefahren, das letzte Freibad am Ort geschlossen werden müssen und seien Schulen in einem schlechten Zustand. Vielfach seien die Kommunen aber einfach „zu pleite“, um den Investitionsrückstau noch auffangen oder gar beheben zu können.
Die Wissenschaftlerin begrüßt, dass die Investitionsbremse nun gelöst werden soll. Dies diene auch dem gesellschaftlichen Zusammenhalt: „Die erschwingliche und flächendeckende Bereitstellung von Energieversorgung und Gesundheitsleistungen, aber auch Bildungs- und Kulturangebote dämpfen soziale und regionale Ungleichheiten, sie ermöglichen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.“ Würden die Milliarden aus dem Sondervermögen Infrastruktur gezielt eingesetzt, um die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Stadt und Land zu stärken, wäre das der Ratsvorsitzenden zufolge ein großer Erfolg.
Mit dem Sondervermögen könne auch die ins Stocken geratene Energiewende wieder Fahrt aufnehmen, so Neu weiter. So stünden etwa Milliardeninvestitionen für Wasser- und Abwasserinfrastrukturen an, um sie klimaresilient aufzustellen. Zudem sei Mobilität ein zentrales Thema für die Bewohner ländlicher Räume. Für eine Mobilitätswende mangele es jedoch sowohl an Öffentlichem Personennahverkehr (ÖPNV) als auch an Ladesäulen für Elektroautos. Ein entscheidender Zugewinn wäre es laut Neu, wenn aus dem Sondervermögen Infrastruktur multifunktionale Lösungen für ländliche Räume gefördert würden. Dazu zählten sogenannte „MobilitätsHubs“, wo nicht nur getankt, sondern auch eingekauft, kaffeegetrunken und in den Bus oder auf ein E-Bike umgestiegen werden könne. Das Ziel der Nachhaltigkeit und Klimaneutralität verbinde sich auf diese Weise mit mehr Lebensqualitat.
Chancengerechtigkeit fördern
Bentkämper erinnerte daran, dass Frauen in ländlichen Räumen in besonderem Maße auf verlässliche Verkehrsanbindungen, wohnortnahe Gesundheitsversorgung, digitale Schulen und ausreichende Kinderbetreuungsangebote angewiesen seien: „Wenn Bus- und Bahnverbindungen fehlen, Krankenhäuser schließen und digitale Angebote unzureichend bleiben, sind es oft Frauen, die dies mit unbezahlter Sorgearbeit und eingeschränkter beruflicher Teilhabe ausgleichen müssen.“
Investitionen in den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, in Krankenhäuser, Schulen und Kitas müssen laut Bentkämper daher gezielt dazu beitragen, diese Ungleichgewichte abzubauen. Auch die Stärkung der Energieversorgung müsse so gestaltet werden, dass sie nachhaltige Entwicklung im ländlichen Raum ermögliche und Frauen als Akteurinnen in Landwirtschaft, Handwerk und Unternehmertum stärke. „Eine gleichberechtigte Zukunft in ländlichen Regionen erfordert politische Entscheidungen, die transparent und nachvollziehbar sind“, betonte die Landfrauenpräsidentin. Die Mittel des Sondervermögens müssten dazu beitragen, Chancengerechtigkeit und gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern.
Mittel müssen schnell abfließen können
Nach Ansicht von DLT-Präsident Brötel steckt die kommunale Ebene derzeit finanziell in ihrer bislang größten Krise. Daher sei es umso wichtiger, dass Kommunen und Kreise eigene zusätzliche Steuermittel erhielten. Auch für den Landrat ist unstrittig, dass in die Infrastruktur investiert werden muss. Der Einsatz der Investitionshilfen binde jedoch zugleich weitere kommunale Kapazitäten und Gelder, sodass der kommunale Handlungsspielraum dadurch weiter begrenzt werde, wenn nicht gleichzeitig die strukturelle Schieflage der Kommunalfinanzen angegangen werde. „Investitionsprogramme lösen nämlich die kommunalen Finanzprobleme nicht, wenn es etwa um Steigerungen der Personalkosten infolge teurer Tarifabschlüsse, zusätzliche Personalbedarfe durch neue Aufgaben oder aus dem Ruder laufende Sozialausgaben geht“, gab Brötel zu bedenken.
Der Bund müsse zudem die Bedingungen des Investitionspakets so gestalten, dass die Mittel schnell abfließen könnten: „Wenn das Geld seinen Zweck erfüllen soll, dann muss es zügig, in vollem Umfang und ohne überbürokratisierte Zuteilungsverfahren einfach und schnell dorthin kommen, wo es tatsächlich gebraucht wird, nämlich in den Kommunen vor Ort“, so Brötel. Förderprogramme, in denen zwar Geld bereitgestellt, dann aber durch umständliche Vorgaben so gesichert werde, dass es am Ende für viele unerreichbar sei, nutzten niemandem.
Schließlich darf der Bund dem DLT-Präsidenten zufolge die mögliche neue Freiheit nicht dazu nutzen, um sich selbst aus bestehenden Investitionsprogrammen zurückzuziehen und mit dem dort eingesparten Geld weitere konsumtive Ausgaben zu finanzieren: „Wenn die kreditfinanzierten Milliarden tatsächlich die Wirtschaft ankurbeln sollen, muss es vielmehr definitiv zusätzliches Geld sein.“ AgE
”Noch schwieriger wird es, bei einer Lockerung der Schuldenbremse die finanzielle Stabilität der Bundesrepublik und die Rechte der zukünftigen Generationen nicht zu gefährden.
Prof. Dr. Claudia NeuInhaberin des Lehrstuhls Soziologie ländlicher Räume an den Universitäten Göttingen und Kassel
Sondervermögen Infrastruktur – wichtiger Beitrag zur Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse und Demokratiestärkung
Ein Kommentar von Prof. Dr. Claudia Neu
Jahrelang wurden die mehr als notwendigen Investitionen in die Infrastruktur und Daseinsvorsorge verschleppt. Bis Brücken zusammenkrachten, die Deutsche Bahn Rekordverspätungen einfuhr und das letzte Freibad am Ort wegen lebensgefährdender Mängel geschlossen werden musste. Vom Zustand einiger Schulen gar nicht zu reden. Vielfach waren die Kommunen aber einfach zu pleite, um den Investitionsrückstau noch auffangen oder gar beheben zu können. Nun soll nach der Bundestagswahl, aber vor dem Start der neuen Regierung, dank eines neuen Sondervermögens Infrastruktur alles anders werden. Wie man liest, sollen 500 Milliarden Euro für zehn Jahre zur Verfügung stehen.
Gut so! Oder? Richtig ist in jedem Fall, dass die Investitionsbremse nun gelöst werden soll. Denn eine funktionierende Infrastruktur ist nicht nur eine wichtige Vorleistung für die Wirtschaft, sondern ein entscheidender Motor der gesellschaftlichen Integration. Die erschwingliche und flächendeckende Bereitstellung von Energieversorgung und Gesundheitsleistungen, aber auch Bildungs- und Kulturangebote dämpfen soziale und regionale Ungleichheiten, sie ermöglichen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Werden die Milliarden aus dem Sondervermögen Infrastruktur gezielt eingesetzt um die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse, in Stadt und Land, zu stärken, wäre das ein großer Erfolg. Mit gezielten Investitionen in ländliche Räume könnte im besten Fall sogar dem Narrativ der „abgehängten Regionen“ begegnet und Vertrauen in die Demokratie zurückgewonnen werden. Die Unzufriedenheit mit der wirtschaftlichen Lage und der infrastrukturellen Ausstattung der eigenen Region hat bei der jüngsten Bundestagswahl etliche Wähler zum Kreuzchen bei der AfD veranlasst.
Mit dem Sondervermögen könnte auch die ins Stocken geratene Energiewende wieder Fahrt aufnehmen. So stehen etwa Milliardeninvestitionen für Wasser- und Abwasserinfrastrukturen an, um sie klimaresilient aufzustellen. Der Verband kommunaler Unternehmen geht hier von 800 Milliarden Investitionsvolumen bis 2045 aus. Zudem ist Mobilität ein zentrales Thema für die Bewohner ländlicher Räume. Eine Mobilitätswende scheint aber noch in weiter Ferne, bisher mangelt es sowohl an ÖPNV wie an Ladesäulen für Elektroautos. Ein entscheidender Zugewinn wäre es, wenn aus dem Sondervermögen Infrastruktur multifunktionale Lösungen für ländliche Räume gefördert werden würden. Wie etwa sogenannte MobilitätsHubs, wo nicht nur getankt, sondern auch eingekauft, kaffeegetrunken und in den Bus oder ein E-Bike umgestiegen werden kann. Das Ziel der Nachhaltigkeit und Klimaneutralität verbindet sich so mit mehr Lebensqualität. Ob dies gelingt, wird maßgeblich auch davon abhängen, dass die Investitionen in Infrastrukturen von einer ausreichenden Zahl an Arbeitskräften in die Tat umgesetzt werden können.
Noch schwieriger wird es, bei einer Lockerung der Schuldenbremse die finanzielle Stabilität der Bundesrepublik und die Rechte der zukünftigen Generationen nicht zu gefährden. Steuergelder für Mütterrente und Pendlerpauschale zu verschleudern, ist definitiv der falsche Weg. Bereits heute fühlt sich die jüngere Generation mit ihren Sorgen von der Politik alleingelassen und wendet sich zunehmend den politischen Rändern zu. Soziale Gerechtigkeit, Klima und Sicherheit sind die Top Themen dieser Altersgruppe. Gelingt die Quadratur des Kreises mit dem neu aufgelegten Sondervermögen sowohl die bestehenden Infrastrukturlücken zu schließen, als auch einen Beitrag zur sozialen, demografischen und regionalen Gerechtigkeit zu leisten, wäre viel – auch für die Demokratie – gewonnen.