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How to name it?

Die Suche nach einer geeigneten Bezeichnung für eine nachhaltigere Landwirtschaft zwischen bio und konventionell

Einführung

Nicht zuletzt in Zeiten hoher Preissteigerungen wird deutlich, dass Bio alleine nicht die Lösung für eine nachhaltigere Landwirtschaft sein kann. Neben einer Steigerung des Bioanteils bedarf es auch der Entwicklung und Kenntlichmachung einer nachhaltigeren konventionellen Landbewirtschaftungsform. In diese Richtung zielt auch die EU mit ihrer Farm-to-Fork-Strategie. Bisher sind aber Ansätze, einen „dritten Weg“ zwischen Bio und konventioneller Bewirtschaftung zu definieren, im Markt gescheitert. Das hat auch damit zu tun, dass die dafür genutzten Begriffe wie „integrierte Produktion“ aus Marketingsicht unbrauchbar waren. Aber die Frage nach einem geeigneten Namen (einer Bezeichnung) für eine nachhaltigere konventionelle Landwirtschaft ist gar nicht so einfach zu beantworten.

Ein kleiner Blick zurück auf die Namensfindung bei Bio

Der ökologische Landbau hat in seiner rund 100-jährigen Geschichte eine unter Marketinggesichtspunkten sehr kluge Namenswahl getroffen. Nachdem in der sog. Lebensreformbewegung zu Beginn der 1920er Jahre zunächst von natürlicher Landwirtschaft gesprochen wurde, wurden dann im Laufe der nächsten Jahrzehnte die Begriffe biologisch-dynamisch, biologisch, organisch-biologisch und dann später ökologisch verwendet [1].Diese Begriffe wurden damals nicht unter Marketinggesichtspunkten ausgewählt; vielmehr verknüpften die Begründer des Biolandbaus ihre Landbewirtschaftungsform klug mit den sich herausentwickelnden neuen wissenschaftlichen Disziplinen, der (Boden-)Biologie und der Ökologie.

Durch den Schutz der heute wohlklingenden und intuitiv eingängigen Bezeichnungen ökologisch und biologisch wurde die „Marke Bio“ etabliert, die für Natürlichkeit und Umweltschutz steht. Rechtlich ist dies in der EU-Ökoverordnung (EU-Verordnung von 1991 i. d.F.v. 2018/848) und im Öko-Kennzeichnungsgesetz (ÖkoKennzG v. 10.12.2001 i.d.F.v. 27.07.2021) geregelt: Ein Lebensmittel darf demnach nur dann unter Bezeichnungen wie „bio“, „biologisch“ oder „ökologisch“ in den Verkehr gebracht werden, wenn es eben die Voraussetzungen der EU-Ökoverordnung erfüllt (insb. keine chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmittel, keine mineralische Düngung, mehr Tierwohl) und entsprechend zertifiziert ist.

Der rechtliche Schutz dieser beiden Kernbegriffe ökologisch und biologisch in der EU-Ökoverordnung ist heute sehr weitgehend. Hier die Kernnorm (Art. 30, Abs. 1): Danach dürfen die in Anhang IV aufgeführten Bezeichnungen und daraus abgeleitete Bezeichnungen und Kurzformen wie „bio-“ und „öko-“, allein oder kombiniert, in der gesamten EU und in allen EU-Sprachen [2] zur Kennzeichnung und in der Werbung nur verwendet werden, wenn die Erzeugnisse den Vorschriften der Verordnung entsprechen. Alle Anlehnungen an diese Begriffe im Marketing sind damit untersagt, also auch Begriffe wie agrarökologisch oder ähnliches. Ab 2006 mussten deshalb auch vorher bestehende Marken mit Namensbestandteilen wie Bioghurt, die für konventionelle Lebensmittel verwendet wurden, vom Markt genommen werden.

Zum Zeitpunkt der Verabschiedung der EU-Ökoverordnung 1991 war der Ökolandbau eine ganz kleine Nische, die Umweltbewegung und die ökologische Forschung standen noch ziemlich am Anfang, die Landwirtschaft insgesamt hatte die Herausforderungen der Nachhaltigkeit nicht wirklich auf dem Schirm. Entsprechend gab es wenig Widerstand gegen den Begriffsschutz, der es ausschließlich einer spezifischen Landbauform erlaubt, die beiden Begriffe „ökologisch“ und „biologisch“, deren Abkürzungen und Kombinationen im Lebensmittelmarketing zu nutzen. Dieser Begriffsschutz war im Rückblick betrachtet ein ziemlicher Clou, der sicher maßgeblich zum Erfolg beigetragen hat. Zurückschauend mag es insbesondere verwundern, dass biologisch als Begriff geschützt werden konnte, da der Begriff ja eigentlich eine naturwissenschaftliche Kerndisziplin bezeichnet.

Mehr als Schwarz und Weiß: Die Suche nach nachhaltigen Landbauformen neben Bio

Auch wenn der Markt für Biolebensmittel in den letzten Jahrzehnten stark gewachsen ist, bleibt das Segment mit derzeit rund 6,5 % des Lebensmittelumsatzes begrenzt. Nach Ansicht vieler Wissenschaftler bedarf es deshalb der Entwicklung und Kenntlichmachung einer nachhaltigeren konventionellen Landbewirtschaftungsform [3]. Es gibt große Unterschiede in der Nachhaltigkeit verschiedener konventioneller Betriebe, aber für die Konsument:innen ist dies beim Kauf nicht sichtbar.

Der erste – in Deutschland letztlich erfolglose – Versuch der Entwicklung einer spezifischen nachhaltigen Landbauform jenseits von Bio, fand seit den 1960er, verstärkt in den 1980er und 1990er-Jahren unter dem Begriff „integrierter Landbau/integrierte Produktion“ statt. Kernidee des integrierten Landbaus war der Verzicht auf den präventiven Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, diese sollten vielmehr nur sehr sparsam und kurativ – als letzte Mittel – Verwendung finden. Die Begriffswahl war allerdings unglücklich, da wenig intuitiv. Hinzu kam, dass das Konzept zu unspezifisch und damit insgesamt noch nicht ausgegoren war; zudem war auch keine Zertifizierung vorgesehen. Bis heute ist es nur in der Schweiz gelungen, mit dem Zertifizierungsprogramm der Produzentenorganisation IP-Suisse und dem dazugehörigen Marienkäfer-Siegel ansatzweise eine Marke für diese Zwischenform zu etablieren [4].

Nicht zuletzt in Zeiten hoher Preissteigerungen wird deutlich, dass Bio alleine nicht die Lösung für eine nachhaltigere Landwirtschaft sein kann.

Prof. Dr. Achim SpillerLehrstuhlinhaber Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte an der Universität Göttingen

Wie soll das Kind heißen?

In jüngerer Zeit gibt es nun im Zuge der Nachhaltigkeitstransformation erneut Diskussionen um einen „Dritten Weg“ zwischen Bio und konventioneller Landwirtschaft.Der dafür zum Teil vorgeschlagene Begriff „nachhaltige Intensivierung“ ist unter Marketinggesichtspunkte allerdings noch ungünstiger als „integriert“. Er bleibt vergleichbar unbestimmt und legt Assoziationen zur aus Verbraucher:innenperspektive negativ besetzten intensiven Landwirtschaft nahe – für das Lebensmittelmarketing damit ein No-Go.

In den 1980er Jahren entwickelte sich unter dem Begriff der regenerativen Landwirtschaft in den USA eine weitere Form der Landbewirtschaftung, die zunächst kaum Bedeutung fand, aber in jüngerer Zeit stärker diskutiert wird [5]. Ausgangspunkt des Ansatzes ist eine Verbesserung des Bodens und ein Beitrag zu vielfältigen versorgenden, regulierenden und unterstützenden Ökosystemleistungen mit dem Ziel, dass dadurch nicht nur die ökologische, sondern auch die soziale und wirtschaftliche Dimension der Nahrungsmittelproduktion verbessert wird [6]. In den USA ist 2017 die Zertifizierung „Regenerative Organic Certified™“ eingeführt worden, welche den Fokus auf Bodengesundheit, Tierwohl und soziale Fairness legt. Es wäre dann eine Unterform von Bio. Es gibt aber auch Formen regenerativer Landwirtschaft, die nicht Bio sind. Das Konzept ist letztlich bisher vage geblieben, aber der Begriff regenerativ ist marketingtechnisch gesehen nicht ohne Potenzial. Er löst Assoziationen zu wiederherstellend, Widerstandskraft, aber auch einen Bezug zu regenerativen Energien aus (auch wenn erneuerbare Energien als Begriff sich stärker durchgesetzt hat).

Konkreter wird die in Frankreich stärker verbreitete pestizidfreie Landwirtschaft durch ein generelles Einsatzverbot chemischen Pflanzenschutzes. Im Vergleich zur ökologischen Landwirtschaft ist der Einsatz von synthetischem Dünger erlaubt, um Ertragsverluste zu begrenzen. In der Schweiz und Frankreich werden derzeit Schritte zur Kennzeichnung einer pestizidfreien Landwirtschaft unternommen. Die bereits erwähnte Produzentenorganisation IP-Suisse hat ein Pilotprojekt zum pestizidfreien Getreideanbau begonnen, und seit 2019/2020 ist das Programm für alle dazugehörigen Landwirt:innen offen. Gleichzeitig hat das marktführende Schweizer Handelsunternehmen Migros angekündigt, ab 2023 nur noch Brot aus pestizidfrei angebautem Getreide zu führen. Wissenschaftliche Begleitstudien zeigen, dass aufgrund der geringeren Umstellungshürden im Vergleich zur ökologischen Bewirtschaftung Potentiale für eine breitere Skalierung gegeben sind und mehr Betriebe einsteigen [7]. Forschungsprojekte zur Landwirtschaft ohne chemischen Pflanzenschutz, aber mit synthetischer Düngung laufen derzeit auch in Deutschland [8]. Aus Marketingsicht adressiert „pestizidfrei“ die zentrale Befürchtung vieler Menschen hinsichtlich der konventionellen Landwirtschaft: Chemie und ihre Rückstände im Lebensmittel. Insofern wird ähnlich wie bei „antibiotikafrei“ in der Tierhaltung oder bei „ohne Zusatzstoffe“ für Fertiggerichte ein wichtiges Positionierungsmerkmal benannt. Allerdings ist der Begriff aufgrund der Negation aus Marketingsicht begrenzt. „Pestizidfrei“ fehlt der Bedeutungsüberschuss, der Halo-(Heiligenschein-)Effekt, den z. B. Bio hat, weil Bio eben auch positive Bilder von Agraridylle, kleinen Betrieben und Kümmern um die Tiere auslöst, die weit über den Inhalt der EU-Verordnung hinausgehen [9]. Im Marketing will man positive Bilder hervorrufen, Werbung mit Risiken gilt selbst in der Versicherungsbranche als heikel.

Wenn „pestizidfrei“ wegen des defensiven Framings marketingtechnisch nur bedingt geeignet ist, dann könnte man vielleicht an das damit intendierte Ziel denken, die Steigerung der Biodiversität. „Biodiverse Landwirtschaft“ oder aus „biodiversem Anbau“ wären denkbare Begriffe. Aber auch hier steckt wieder die Silbe „Bio“ im Wort, geschützt durch die EU-Ökoverordnung. Möglich wären deshalb wohl nur Umschreibungen wie „blühfreundlich“ oder „bienenfreundlich“ – dies sind aber vielleicht doch zu blumige Werbeaussagen, deren Glaubwürdigkeit angreifbar ist.

Was denken die Verbraucher:innen?

Vor dem Hintergrund der schwierigen Begriffsfindung für einen nachhaltigen konventionellen Landbau haben wir im Rahmen des NOcsPS-Projektes [10] eine Verbraucher:innen-Befragung durchgeführt, in der ein Landbausystem unter Nutzung mineralischer Düngung, aber ohne chemisch-synthetischen Pflanzenschutz den Probanden mit verschiedenen Fragen vorgestellt wurde. Am Schluss der Befragung wurden die knapp 600 Proband:innen dann nach einer Bezeichnung gefragt, die aus ihrer Sicht zu diesem System passt. Tabelle 1 zeigt die Ergebnisse dieser offenen Frage im Überblick.

Tabelle 1: Bezeichnungen (Kategorien) für eine nachhaltige konventionelle Landwirtschaft aus Verbraucher:innensicht (Ergebnisse einer Befragung)
Kategorien (Einteilung der genannten Begriffe in verschiedene verwandte Gruppen)
Prozentuale Häufigkeit*
Beispiele für Bezeichnungen, die in der Befragung genannt und dieser Kategorie zugeordnet wurden
Bezeichnungen mit Bezug zu Natur, Natürlichkeit und Ursprünglichkeit 24,4% –   Aus natürlichem Anbau

–   Naturbelassener Anbau
–   Naturnahe Landwirtschaft

Bezeichnungen mit Bezug zur ökologischen Landwirtschaft 22,3% –   Bio light

–   Bio mit mineralischem Dünger
–   Eingeschränkt biologischer Anbau
–   Semi-biologische Landwirtschaft

Bezeichnungen mit Bezug auf den Verzicht auf chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel 12,7% –   Chemiefreie Landwirtschaft

–   Anbau ohne chemischen Pflanzenschutz
–   Pestizidfreie Landwirtschaft

Bezeichnung als hybrides, kombiniertes Landwirtschaftssystem (Mischform) 5,7% –   Biokonventionelle Landwirtschaft

–   Gemischte Landwirtschaft
–   Hybrid-Anbau
–   Kombi-Landwirtschaft

Bezeichnung als alternative Landwirtschaftsform 5,7% –   Alternative Landwirtschaft

–   Alternative Anbauart

Bezeichnungen mit Bezug zur mineralischen Düngung 4,9% –   Landwirtschaft auf mineralischer Düngerbasis

–   Mineralische Landwirtschaft

Bezeichnungen mit Bezug zu Zukunft und Innovation 4,7% –   Die neue Landwirtschaft

–   Agrofutura
–   Moderne Landwirtschaft

Bezeichnungen mit Bezug zur Nachhaltigkeit 3,1% –   Nachhaltige Landwirtschaft
Bezeichnungen mit Bezug zu Gesundheit 2,1% –   Gesunde Landwirtschaft
Bezeichnungen mit Bezug zur konventionellen Landwirtschaft 2,1% –   Erweiterter konventioneller Anbau

–   Konventionelle Landwirtschaft plus
–   Semi-konventionelle Landwirtschaft

Bezeichnungen mit Bezug zu Umweltschutz 1,8% –   Umweltschonender Anbau

–   Umweltfreundliche Landwirtschaft

Sonstige Bezeichnungen 10,4%
* Die Berechnungen und prozentualen Häufigkeiten beziehen sich auf den Anteil der Stichprobe (n = 385), welcher einen Bezeichnungsvorschlag gemacht hat. Befragte ohne einen gültigen Bezeichnungsvorschlag bleiben unberücksichtigt.

Die Ergebnisse der offenen Frage zeigen die Problematik. Fast ein Drittel der Befragten (31,1%) hatte gar keine spontanen Vorschläge, die genannten sind aus verschiedenen Gründen schwierig.

Natürliche oder naturnahe Landwirtschaft

Die größte Gruppe der Befragten (24,4%) bevorzugt eine Bezeichnung mit Bezug zu Natur, Natürlichkeit und Ursprünglichkeit. Natürliche Landwirtschaft wäre angesichts der hohen Natürlichkeitspräferenzen der Menschen [11] werbemäßig perfekt, dürfte aber rechtlich problematisch sein. Die Nutzung des Natürlichkeitsbegriffs im Lebensmittelmarketing wird von den Gerichten eher restriktiv behandelt; künstliche Zusatzstoffe zum Beispiel schließen die Nutzung aus. Ob die Nutzung von synthetischem Mineraldünger damit vereinbar ist, erscheint zweifelhaft. Möglich wären Bezeichnungen wie „naturnahe Landwirtschaft“; allerdings gibt es bereits eine Vielzahl von Marken (wie Naturland, Naturwert, Allnatura, Nature-Care etc.), die auf Natur Bezug nehmen.

Anlehnungen an den Biolandbau

Bei 22,3% der genannten Bezeichnungen besteht ein Bezug zur ökologischen Landwirtschaft. Dementsprechend assoziiert ein bedeutsamer Anteil an Verbraucher:innen das skizzierte Anbausystem mit der Bio-Landwirtschaft, sicherlich mitbedingt durch den Verzicht auf chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel. Einen Bezug zur konventionellen Landwirtschaft weisen im Gegensatz dazu ausschließlich 2,1% der Bezeichnungen auf. Wie bereits dargelegt, ist trotz der bestehenden Verbraucherassoziationen mit der ökologischen Landwirtschaft eine dahingehende Benennung aus rechtlichen Gründen nicht möglich. Damit scheiden auch Bezeichnungen wie „agrarökologisch“, mineral-ökologisch oder mineralisch-organisch aus [12].

Bezug auf den Verzicht auf chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel

12,7 % der vorgeschlagenen Bezeichnungen nehmen Bezug auf die Abwesenheit chemischer Substanzen im Produkt bzw. den Verzicht auf chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel in der Landwirtschaft. Bei Benennung wie „chemie- oder pestizidfrei“ bleibt jedoch unberücksichtigt, dass synthetische Mineraldünger eingesetzt werden. „Pestizidfrei“ ist, wie bereits aufgezeigt, wegen der negativen Konnotation des Pestizid-Begriffs und des Fehlens positiver Assoziationen weniger vorteilhaft, auch wenn z. B. in Frankreich „pestizidfrei“ in jüngerer Zeit verstärkt als Label Verwendung findet.

Weitere Vorschläge: Hybrid, alternativ, nachhaltig, umweltfreundlich

5,7% der Benennungen fokussieren auf den hybriden Charakter des landwirtschaftlichen Systems. Eine solche Bezeichnung setzt allerdings Wissen über die Charakteristika der ökologischen und konventionellen Landwirtschaft voraus, um das Landbausystem in seiner Zwischenposition beurteilen zu können. Auch bei der Bezeichnung „alternative Landwirtschaftsform“ (5,7% der Nennungen) können Unklarheiten resultieren, worauf sich „alternativ“ bezieht bzw. wozu das Landnutzungssystem eine Alternative bildet. Das Charakteristikum der mineralischen Düngung wird von 4,9% der Befragten in die Benennung einbezogen. Eine derartige Bezeichnung rückt den Einsatz der mineralischen Düngung als Merkmal des Landnutzungssystems in den Fokus, was für die meisten Konsumenten unklar sein wird. Zudem bleibt der Verzicht auf chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel und die damit assoziierten Vorteile unberücksichtigt. Auch die Bezeichnungen mit einem Innovations- bzw. Zukunftsbezug (4,7%) sind eher abstrakt und lassen keinen Rückschluss auf die zentralen Merkmale des Landbausystems zu. Relativ selten wurde bei den Benennungen ein Bezug zur Nachhaltigkeit hergestellt (3,1% der Nennungen). Nachhaltigkeit als Begriff ist aber möglicherweise gar nicht schützbar, weil freihaltungsbedürftig, da generisch. Dem Begriff fehlt die Unterscheidungskraft, da viele Landbausysteme für sich in Anspruch nehmen würden, in der einen oder anderen Hinsicht nachhaltig zu sein. Der Begriff ist zu breit. Am seltensten wurden Bezeichnungen mit Bezug zu Gesundheit (2,1 %) und Umweltschutz (1,8 %) genannt. Hier liegt der Fokus auf den Konsequenzen, die mit dem Verzicht auf chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel assoziiert sind.

Zurückschauend mag es insbesondere verwundern, dass biologisch als Begriff geschützt werden konnte, da der Begriff ja eigentlich eine naturwissenschaftliche Kerndisziplin bezeichnet.

Prof. Dr. Enno BahrsLeitung des Fachgebiets für Landwirtschaftliche Betriebslehre an der Universität Hohenheim

Nicht-genannte Optionen: regenerative Landwirtschaft oder artenreiche Landwirtschaft

Es gibt, wie einleitend beschrieben, weitere Optionen, die allerdings von den Verbraucher:innen nicht genannt wurden. Der vielleicht heißeste Kandidat ist der Begriff „regenerative Landwirtschaft“. Er löst mit dem Bezug zur Bodengenesung und zu regenerativen Energien positive Assoziationen aus. Er ist bisher noch nicht in der Bevölkerung präsent, so dass er neu aufgeladen werden könnte. Zudem stößt regenerative Landwirtschaft auf verstärkte Beachtung im Agribusiness und wurde gerade von einer Koalition multinationaler Konzerne der Agrar- und Ernährungswirtschaft als Ziel vorgeschlagen [13]. Gleichzeitig ist der Begriff aber heute noch ex­trem vage. Zu einem Teil kennzeichnet er eine spezielle Form des ökologischen Landbaus, zu humusaufbauenden (und damit klimaschützenden) Landwirtschaft mit reduziertem Stickstoffdünger- und Pflanzenschutzmitteleinsatz zur Förderung der Biodiversität [14].

Ein wesentliches Ziel einer nachhaltigeren konventionellen Landwirtschaft ist die Steigerung der Biodiversität. Der Fachbegriff Biodiversität selbst ist allerdings nicht leicht verständlich und seine Marketingnutzung rechtlich problematisch (s. o.). Von daher könnte über Bezeichnungen wie artenreiche Landwirtschaft nachgedacht werden [15]. Die emotional ansprechende, aber fachlich arg verkürzte Version wäre „bienenfreundlich“, eine Bezeichnung, die in jüngerer Zeit häufiger für Lebensmittel verwendet wird.

Verzicht auf eine spezielle Bezeichnung und Auslobung durch ein Umweltlabel auf Lebensmitteln

Eine andere Alternative wäre, gar nicht auf eine neue Bezeichnung zu setzen, sondern auf innovative Umweltbewertungssysteme für Lebensmittel, bei denen Produkte aus einem nachhaltigen Landbausysteme dann besser abschneiden. Derzeit werden neue, mehrstufige Label für die Umweltverträglichkeit von Lebensmitteln, graphisch ähnlich dem Nutri-Score, insbesondere in Frankreich erarbeitet (Eco- und Planet-Score, s. Abb. 1). Lidl hat den Eco-Score Ende 2021 in Berlin erstmals in Deutschland getestet. Auch die EU strebt in ihrer Farm to Fork-Strategie ein solches Nachhaltigkeitslabel für 2024 an. Wenn zum Beispiel – wie beim Planet-Score – der Pflanzenschutzmitteleinsatz getrennt ausgewiesen wird, könnten pestizidfreie oder ‑arme Agrarsysteme einen Schub erhalten.

Fazit

Die ökologische Landwirtschaft hat die sehr werbewirksamen Begriffe „bio“ und „öko“ besetzt und damit einen weitreichenden Begriffsschutz erreicht, so dass alle weiteren Versuche, nachhaltige Landbausysteme zu kennzeichnen, bisher gescheitert sind. Dies ist kein Vorwurf an Bio. Die ökologische Landwirtschaft hat den Umweltschutz als zentrales Positionierungsmerkmal historisch früh erschlossen. Heute würde man wahrscheinlich einen so weitreichenden staatlichen Schutz fast generischer Begriffe wie biologisch nicht mehr zulassen, aber das ist Schnee von gestern.

Für die Zukunft ist aus verschiedenen Gründen eine stärkere Nachhaltigkeit im konventionellen Landbau unumgänglich [16]. Letztlich gibt es drei Optionen, wie mit der Schwierigkeit einer geeigneten Begriffsfindung umgegangen werden kann. Die Diskussion ist offen:

  1. Verzicht auf eine Bezeichnung – der Weg über Ordnungsrecht und Subventionen: Der Gesetzgeber zwingt die konventionelle Landwirtschaft zu einem nachhaltigeren Anbau. Am Markt spielt dies keine Rolle, ein Begriff ist daher nicht notwendig. Ökonomische Nachteile gegenüber dem Ausland werden durch Agrarumweltzahlungen u. ä. ausgeglichen. Für die Verbraucher:innen bleibt dies unsichtbar, Marktkräfte werden nicht genutzt.
  2. Ein Marketingbegriff für den „dritten Weg“: Ein einfacher Begriff ist „pestizidfrei“, wirksam, aber begrenzt – und nur für eine spezifische Form der nachhaltigeren Landwirtschaft geeignet. Eine Alternative mit positiver Ausstrahlung wäre so etwas wie „artenreiche Landwirtschaft“, insbesondere, wenn weitere Instrumente zur Förderung der Biodiversität wie kleine Schläge, Blühstreifen oder Hecken forciert würden. Schließlich könnte an der Definition und Überprüfbarkeit einer „regenerativen Landwirtschaft“ weitergearbeitet werden. Dabei ist am Schluss der Begriff nicht allein entscheidend: Mindestens genauso wichtig ist die klare Definition (inkl. Zertifizierung) und die gesellschaftliche Unterstützung für einen bestimmten Weg. Daran mangelt es bisher; am ehesten zeichnet sich ein solcher Pfad derzeit für „regenerative Landwirtschaft“ ab.
  3. Ausweisung der Nachhaltigkeit mit Hilfe eines weiter zu entwickelnden Umweltlabels ähnlich dem „Eco- oder Planet-Score“. Die französische Regierung wird voraussichtlich in Kürze einen Verordnungsentwurf für ein solches Label vorlegen, bei dem Pflanzenschutzmitteleinsatz besonders berücksichtigt wird. Da im Durchschnitt rund 75 % der Umweltauswirkungen eines Lebensmittels aus der landwirtschaftlichen Produktionsstufe kommen, wird sich die Nachhaltigkeit der Landwirtschaft in einem Umweltlabel erkennbar wiederfinden.

Das diesem Bericht zugrunde liegende Vorhaben wurde mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unter dem Förderkennzeichen 031B0731A gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autoren.

Kontakt

Prof. Dr. Achim Spiller
Department für Agrarökonomie und Rurale Entwicklung
Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte
Platz der Göttinger Sieben 5
37073 Göttingen
E-Mail: a.spiller@agr.uni-goettingen.de

Dr. Sina Nitzko
Department für Agrarökonomie und Rurale Entwicklung
Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte
Platz der Göttinger Sieben 5
37073 Göttingen
E-Mail: snitzko@uni-goettingen.de

Enno Bahrs
Institut für Landwirtschaftliche Betriebslehre
Universität Hohenheim
E-Mail: bahrs@uni-hohenheim.de

Referenzen

[1] Siehe Vogt, G. (2001): Geschichte des ökologischen Landbaus im deutschsprachigen Raum, in: Ökologie & Landbau 118 (2/2001): 47-49 (Teil 1) und 119 (3/2001): 47-49 (Teil 2).
[2] Im Englischen und auch in anderen EU-Sprachen wird die Bezeichnung organisch/organic verwendet, der Begriff ist daher auch geschützt.
[3] So der WBAE (2020): Politik für eine nachhaltigere Ernährung: Eine integrierte Ernährungspolitik entwickeln und faire Ernährungsumgebungen gestalten, in: Berichte über Landwirtschaft, Sonderheft 230.
[4] Lefebvre, M. et al. (2015): Incentives and policies for integrated pest management in Europe: a review, in: Agronomy for Sustainable Development 35, 27-45.
[5] Giller, E., Hijbeek, R., Andersson, J. A., Sumberg, J. (2021): Regenerative Agriculture: An agronomic perspective, in: Outlook on Agriculture 50(1), 13-25, DOI: 10.1177/0030727021998063.
[6] Schreefel, L. et al. (2020): Regenerative agriculture – the soil is the base, in: Global Food Security 26/2020, DOI: 10.1016/j.gfs.2020.100404
[7] Möhring, N., Finger, R. (2022): Pesticide-free but not organic: Adoption of a large-scale wheat production standard in Switzerland, in: Food Policy 106, 1-18.
[8] Zimmermann, B. et al. (2021): Mineral-ecological cropping systems – A new approach to improve ecosystem services by farming without chemical synthetic plant protection, in: Agronomy 9/2021, DOI: 10.3390/agronomy11091710
[9] Ausführlich belegt u. a. in Meyer-Höfer M. v., Nitzko, S., Spiller, A. (2015): Is there an expectation gap? Consumers’ expectations towards organic, in: British Food Journal 117 (5), 1527-1546.
[10] Im Rahmen des Verbundprojektes „Landwirtschaft 4.0 ohne chemisch-synthetischen Pflanzenschutz“ (NOcsPS), welches vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (Förderline: „Agrarsysteme der Zukunft“) gefördert wird, wird ein Landbausystem entwickelt, in welchem mineralische Dünger genutzt werden und auf den Einsatz von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln verzichtet wird. Die Landwirtschaftsform zeichnet sich zudem durch den Einsatz modernster vernetzter Technologien aus (vgl. https://nocsps.uni-hohenheim.de/).
[11] In vielen empirischen Studien wurde eine tiefsitzende Bevorzugung von „natürlichen“ Zutaten und Verfahrensweisen nachgewiesen, siehe im Überblick die Metaanalyse von Román, S., Sánchez-Siles, L.M., Siegrist, M. (2017): The importance of food naturalness for consumers: Results of a systematic review, in: Trends in Food Science & Technology 67, 44-57.
[12] Dieser Begriff wird u. a. von Urs Niggli vorgeschlagen, https://www.agroecology.science/index.html.
[13]
Siehe https://a.storyblok.com/f/109506/x/7b102e6831/agribusiness-task-force-white-paper.pdf.
[14] Giller et al. 2021, a.a.O.
[15]
So haben der WWF und Edeka ein Programm mit dem Label „Landwirtschaft für Artenvielfalt“ aufgelegt, allerdings begrenzt auf Biolebensmittel, https://www.edeka.de/nachhaltigkeit/unsere-wwf-partnerschaft/die-kooperation/landwirtschaft_fuer_artenvielfalt.jsp.
[16]
Vgl. dazu WBAE (2020): Politik für eine nachhaltigere Ernährung: Eine integrierte Ernährungspolitik entwickeln und faire Ernährungsumgebungen gestalten, in: Berichte über Landwirtschaft, Sonderheft 230, Kap. 5.

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