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– ein Beitrag von Prof. Dr. Matin Qaim, Department für Agrarökonomie und Rurale Entwicklung, Universität Göttingen

(Zuerst erschienen in alverde, das Kundenmagazin.)

Historisch gesehen war immer ein großer Teil der Mensch­heit von Hunger betroffen. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein war über die Hälfte der Welt­bevöl­kerung nicht ausreichend mit Lebens­mitteln versorgt. In den letzten Jahr­zehnten ging der Anteil weltweit hungern­der Menschen aber deutlich zurück – auf heute rund elf Prozent.

Haupt­grund für diesen Erfolg im Kampf gegen den Hunger waren die Ertrags­stei­ger­ungen im Getreide­anbau, die durch Forschung und Techno­logie in der Land­wirtschaft möglich wurden. Der Einsatz neuer Sorten sowie chemischer Dünge- und Pflanzen­schutz­mittel verdrei­fachte die Erträge in vielen Teilen der Welt. Für arme Menschen in den Entwicklungs­ländern wurden Lebens­mittel erschwinglicher. Viele Klein­bauern profitierten von größeren Ernten und steigenden Einkommen. Allerdings hatten diese techno­logischen Entwick­lungen in der Land­wirtschaft nicht nur positive Effekte. Durch den hohen Chemie­einsatz ergaben sich gravierende Umwelt­probleme. Außerdem hat der Fokus auf Getreide zwar die Ver­sorgung mit Kalorien verbessert, aber die Ernährungs­vielfalt einge­schränkt. Außer Kalorien braucht der Mensch auch Vitamine und andere Mikro­nährstoffe, die vor allem über Obst, Gemüse, Hülsen­früchte und tierische Produkte aufge­nommen werden.

Oft wird der Ökoland­bau als Lösung gesehen, weil dieser viel­fältiger und – pro Hektar Fläche – auch umwelt­freund­licher als die konven­tionelle Land­wirtschaft ist. Aller­dings werden im Ökoland­bau niedrigere Erträge erzielt, sodass für die gleiche Produktions­menge mehr Fläche benötigt wird. Die wachsende Weltbe­völ­kerung nur mit Ökoland­bau zu ernähren hieße, mehr Wälder und Natur­räume umzu­wandeln, was zusätz­liche negative Folgen für Klima und Arten­vielfalt hätte. Der Ökoland­bau in seiner heutigen Definition ist also nicht das Patent­rezept für nach­haltige Welter­nährung.

„Die wachsende Weltbevölkerung nur mit Ökolandbau zu ernähren hieße, mehr Wälder und Naturräume umzuwandeln.“

Die Landwirt­schaft muss umwelt­freund­licher und produk­tiver zugleich werden. Dabei können Ideen aus dem Ökoland­bau einen Beitrag leisten. Viel­fältigere Frucht­folgen können zum Beispiel helfen, die Boden­substanz zu verbessern und den Schädlings­druck zu senken, sodass weniger Chemie eingesetzt werden muss. Gleich­zeitig müssen wir neue Techno­logien ent­wickeln, die auch bei niedrigem Chemie­einsatz und fort­schreiten­dem Klima­wandel hohe Erträge er­mög­lichen. Sowohl digitale Techno­logien als auch neue gen­technische Methoden bieten hierbei große Potenziale. Die Ent­wicklung solcher Techno­logien darf nicht nur den großen Konzernen über­lassen werden, denn Vielfalt und fairer Wett­bewerb sind wichtige Voraus­setzungen für Nach­haltig­keit.

Frauen in Malawi bei der Feldarbeit
Maisanbau in Malawi: Das Getreide ist ein Grundnahrungsmittel in dem afrikanischen Land. © Stefan Koppmaier

Über Verän­derun­gen in der Land­wirtschaft hinaus müssen wir unsere Konsum­gewohn­heiten über­denken und anpassen. Weltweit werden zu viele Lebens­mittel weg­gewor­fen und verschwendet. Und vor allem bei uns in den reichen Ländern werden zu viel Fleisch und tierische Produkte konsumiert. Tierische Lebens­mittel haben einen viel höheren Umwelt­fußab­druck als pflanzliche.

„Es geht nicht darum, dass alle Veganer werden, aber ein reduzierter Konsum tierischer Produkte wäre durchaus sinnvoll.“

Offenheit für neue Techno­logien in der Produktion und bewus­sterer Konsum sind keine Gegen­sätze, sondern beides wichtige Aspekte auf dem Weg zu mehr Nach­haltig­keit im globalen Ernährungs­system. Nur mit intelli­genten Kombi­na­tionen verschie­dener Ansätze kann eine Welt ohne Hunger Wirk­lich­keit werden.


Dieser Artikel erschien in alverde, das Kundenmagazin von dm-drogeriemarkt (Oktober 2019).

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