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Kommen Tierwohlförderungen wirklich an? Wie viele Verstöße gegen die Tierschutzgesetzgebung werden geahndet? Sind in den Medien veröffentlichte Skandale über Missstände in den Ställen Einzelfälle oder in der landwirtschaftlichen Praxis weit verbreitet? Wie effektiv wird auf den Schlachthöfen betäubt? Wie viele lahme Kühe gibt es? Wie sieht die Flossengesundheit bei Karpfen und Regenbogenforellen aus? Wie viele Tiere sterben auf Transporten? Wie viel Platz haben Schweine? Kommen Fußballenveränderungen bei Masthähnchen häufig vor?

Auf all diese Fragen gibt es bisher keine Antworten. Deutschland verfügt derzeit über keine umfassende, repräsentative Datengrundlage, um auf überbetrieblicher Ebene Aussagen zum Tierwohl in der Nutztierhaltung zu treffen. Das zu ändern ist das Ziel des Projekts Nationales Tierwohl-Monitoring (NaTiMon).

Antworten auf die oben genannten Fragen und noch viele mehr könnte ein nationales Tierwohl-Monitoring liefern. Hierbei würde mit vorhandenen Daten, schriftlichen Befragungen und „Vor-Ort-Audits“ systematisch das Tierwohl der Nutztiere in Deutschland erfasst werden. Dies geschieht anhand von Indikatoren, die vom Projektteam zusammen mit Stakeholdern ausgewählt und anschließend auf Praxisbetrieben getestet wurden. Dabei wurden die Bereiche Haltung, Transport und Schlachtung von Rindern, Schweinen, Hühnern, Puten, Schafen, Ziegen sowie Regenbogenforellen und Karpfen aus Aquakultur einbezogen und darüber hinaus Indikatoren zur Beschreibung ausgewählter Rahmenbedingungen der Nutztierhaltung vorgeschlagen.

In den letzten vier Jahren haben wir Wissenschaftler:innen des Projektkonsortiums eng zusammengearbeitet, um die Grundlagen für ein nationales Tierwohl-Monitoring zu schaffen. Wir kommen von den Thünen-Instituten für Betriebswirtschaft, für Ökologischen Landbau und für Fischereiökologie, von der Humboldt-Universität zu Berlin, der Hochschule Osnabrück, der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, dem Friedrich-Loeffler-Institut (FLI), dem Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft e.V. (KTBL), der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover (TiHo) und vom Statistischen Bundesamt. Das Engagement und Fachwissen der Forscher:innen der 10 genannten Institutionen fließt seit 2019 in dieses Projekt.

Bei der Vorauswahl der Indikatoren wurden Expert:innen und Stakeholder mit einbezogen, so dass von Vorneherein  viel Expertise vertreten war. Dazu gehörten u. a. landwirtschaftliche Interessensvertreter:innen der Qualität und Sicherheit GmbH (QS), Tierärzt:innen, Vetreter:innen von Transport und Schlachtung, NGOs, Vertreter:innen aus Politik und Verwaltung sowie Wissenschaftler:innen.

Im Projekt NaTiMon ist sozusagen das „Rezept“ für ein zukünftiges Monitoring entstanden. Alle Zutaten, um bei dem Bild zu bleiben, wurden in Form von verschiedenen Berichten vorbereitet. Es gibt Empfehlungen, Modellberichte, Erhebungsleitfäden, Methodenhandbücher und natürlich einen Abschlussbericht. Die Empfehlungen für die Politik beschreiben Schritt für Schritt, was nun politisch getan werden müsste, um ein Monitoring umzusetzen. Die Modellberichte sind Beispiele dafür, wie die Veröffentlichung der Monitoring-Ergebnisse aussehen könnte. Dafür haben wir eng mit einer Grafikagentur zusammengearbeitet, die uns gestalterisch beraten und die Berichte optisch ansprechend designt hat. Die Erhebungsleitfäden sind für spätere Auditor:innen gedacht, hier steht genau beschrieben, wie die Erhebung der einzelnen Indikatoren auf den Betrieben funktioniert und was dafür an Material benötigt wird. Last but not least gibt es Methodenhandbücher. Sie sind wichtig für diejenigen, in deren Händen später die Organisation des Monitorings liegen wird. In den Methodenhandbüchern finden sich zu jedem Indikator Angaben darüber, ob er im Audit erhoben werden muss, in einer schriftlichen Befragung oder aus vorhandenen Daten berechnet werden kann. Alle Berichte findet ihr auf unserer Website: https://www.nationales-tierwohl-monitoring.de/projektberichte.

Vielleicht habt ihr unser Projekt schon auf der Grünen Woche in Berlin oder auf der Eurotier in Hannover kennengelernt? Auf jeden Fall solltet ihr euch unseren kurzen Erklärfilm auf unserer Website anschauen in dem kurz und knapp das gesamte Projekt erläutert wird (https://www.nationales-tierwohl-monitoring.de/).

Am 22.06.2023 haben wir unsere Projektergebnisse dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) im Rahmen einer Abschlussveranstaltung übergeben. Von unserem großen Team aus 30 Wissenschaftler:innen war jeweils eine Person auf der Bühne, um die Fragen aus dem Publikum zu beantworten. Im Anschluss gab es eine Podiumsdiskussion mit der Staatssekretärin Dr. Ophelia Nick aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium, unserem NaTiMon-Kollegen Prof. Dr. Lars Schrader vom FLI, Prof. Dr. Folkhard Isermeyer (Präsident des Thünen-Instituts Braunschweig), Kirsten Wosnitza (Milchviehhalterin aus Schleswig-Holstein), Dr. Sylvia Heesen (Ministerium für Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen), Dr. Nora Irrgang (VIER PFOTEN) und Bernhard Krüsken (Deutscher Bauernverband). Das ergab eine spannende Diskussion, in der erstaunlicherweise eine große Übereinstimmung darüber herrschte, dass wir ein nationales Tierwohl-Monitoring dringend benötigen!

 


 

Nun hoffen wir, dass das BMEL unsere Ergebnisse und Empfehlungen in die Hand nimmt, eingehend prüft und dann so schnell wie möglich die Umsetzung eines nationalen Tierwohl-Monitorings veranlasst. Hier ein Auszug aus den Empfehlungen, was nun zu tun ist/wäre:

  1.  Eine Gesetzesgrundlage schaffen
    Ohne Gesetz kann man leider weder die vorhandenen Daten nutzen noch fehlende Daten erheben
  2. Institutionelle Basis und Infrastruktur bereitstellen
    Das Monitoring kann von den statistischen Ämtern (schriftliche Erhebung), Zertifizierungsstellen (Audits) und Ressortforschung (Organisation, Datenbank, Auswertung) umgesetzt werden
  3. Mittel für die Umsetzung einplanen
    Für die Audit-Erhebungen auf den Betrieben (ohne schriftliche Erhebung) und die Organisation durch die Ressortforschung wurden jährliche Kosten von ca. 2,8 Mio abgeschätzt.
  4. Nutzung vorhandener Daten ermöglichen
    Um Doppelbelastungen der Betriebe zu vermeiden sollten bereits erfasste Daten (QS, HIT, Antibiotikadatenbank etc.) für das Monitoring verwendet werden (alle Betriebe).
  5. Erhebung fehlender Daten umsetzen
    Mit schriftlichen Erhebungen und Audits (Stichprobe ca. 13.000 Betriebe über einen 4-Jahreszeitraum) werden die Informationslücken zum Tierwohl geschlossen.
  6. Tierwohl-Monitoring-Bericht veröffentlichen
    In Berichten und auf einer interaktiven Website werden Status-quo und Entwicklung des Tierwohls präsentiert.
Laura Wieczorreck

Laura Wieczorreck

Laura Wieczorreck hat an der Humboldt-Universität zu Berlin im Bachelor Agrarwissenschaften und im Master Prozess- und Qualitätsmanagement in der Landwirtschaft studiert. Zur Zeit arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Thünen-Institut für Betriebswirtschaft im Projekt Nationales Tierwohlmonitoring ("NaTiMon").

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