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Sofern ein FFH-Gebiet kommt, wird die Fläche gerodet.*

Das europäische Schutzgebietsnetz Natura 2000 ist nicht nur in der Landwirtschaft, sondern auch in der privaten Forstwirtschaft stark umstritten und könnte sogar zu konträren Maßnahmen führen.

Inwieweit spiegelt dieses Zitat die allgemeine Sichtweise der privaten Waldbesitzer in Deutschland wider? Welche Einstellung haben sie zum Naturschutz und welche Ziele und Bewirtschaftungsmaßnahmen verfolgen sie? In einer kürzlich veröffentlichten Studie suchen wir nach Antworten auf diese Fragen.

Natura 2000 und private Waldbesitzer

Natura 2000 ist das weltweit größte Netzwerk von Schutzgebieten und deckt 18 % der Landfläche der Europäischen Union ab. Bestehend aus der EU-Habitatrichtlinie (FFH) und der Vogelschutzrichtlinie zielt Natura 2000 darauf ab, den Zustand gefährdeter Lebensräume und typischer Arten in Europa zu erhalten und zu verbessern – unter gleichzeitiger Berücksichtigung lokaler sozialer und wirtschaftlicher Rahmenbedingungen. In Europa wie auch in Deutschland besteht die Hälfte der terrestrischen Natura-2000-Flächen aus Wäldern. Doch auch landwirtschaftliche Flächen machen in Deutschland 40 % des Schutzgebietsnetzes aus. Für eine erfolgreiche Umsetzung der Strategie ist es unerlässlich, einen Blick auf diejenigen zu werfen, die die Flächen besitzen und bewirtschaften – ihr Mitwirken ist zentral. Mit einem Blick auf den mittel- und westeuropäischen Wald sind dies oft Privatpersonen mit kleinen und häufig fragmentierten Waldbeständen. Historisch bedingt sind auch „Bauernwälder“ oft von Bedeutung. Durch eine Befragung von 1671 Privatwaldbesitzenden im niedersächsischen Bergland wir einen umfassenden Einblick in die Ziele und Perspektiven dieser Besitzgruppe gewinnen. Innerhalb unserer Untersuchungsregion stammten die Antworten zu einem Drittel von Personen, die in der Landwirtschaft tätig sind oder waren.

Ein stabiler und gesunder Waldbestand als Hauptziel

Wir haben festgestellt, dass Privatwaldbesitzende sehr unterschiedliche Ziele verfolgen: Der Erhalt gesunder und stabiler Bestände, die Sicherung der Boden-, Wasser- und Luftqualität sowie der Schutz der Artenvielfalt wurden von mehr als 90 % der Befragten als wichtig oder sehr wichtig eingestuft. Die Holzproduktion für die persönliche Versorgung wurde von mehr als zwei Dritteln der Befragten als wichtig eingestuft. Die höhere Bewertung von Aspekten wie der Artenvielfalt oder der landschaftlichen Schönheit im Vergleich zur Ressourcennutzung steht im Einklang mit anderen europäischen Studien.

Es zeigten sich jedoch Unterschiede zwischen der hohen Bewertung des Naturschutzes durch die Befragten und den tatsächlich umgesetzten Maßnahmen: Obwohl der Schutz der Artenvielfalt für 90 % der Privatwaldbesitzenden sehr wichtig zu sein scheint, gaben nur 45 % der Befragten an, Totholz oder Habitatbäume zu erhalten – die am häufigsten durchgeführte Naturschutzmaßnahme. Diese Diskrepanz zwischen Zielsetzung und Aktivität ist möglicherweise auf eine Reihe von Faktoren zurückzuführen: Waldbesitzende könnten ihren Bestand per se als naturnah empfinden, sie könnten an ihrem eigenen Einfluss zweifeln oder sich auf die Ressourcennutzung konzentrieren und davon ausgehen, dass andere Ziele im Zuge dessen erreicht werden. Weitere Gründe könnten hohe Kosten oder die externe forstwirtschaftliche Beratung sein.

Dieses Foto zeigt einen Kleinprivatwald des Kleinen Bergs bei Remsede (Niedersachsen). Im Vordergrund ist ein Rotbuchen-Niederwald zu erkennen, das Meer weißer Blüten sind Buschwindröschen. Foto: Andreas Mölder

Stärkere Konzentration auf Waldnutzung bei Personen mit Natura-2000-Gebieten

In unserer Umfrage maßen die Waldbesitzenden mit Natura-2000-Gebieten der Holzproduktion für die persönliche Versorgung und den Verkauf sowie der Gewinnmaximierung eine größere Bedeutung zu. Während der Schutz von Habitatbäumen die einzige biodiversitätsfördernde Maßnahme war, die von dieser Gruppe häufiger genannt wurde, wurde auch die Durchforstung und Ernte von reifen Einzelbäumen deutlich öfter durchgeführt.

Die Frage nach Ursache und Wirkung, d.h. ob eine aktive Bewirtschaftung zu schützenswerten Beständen geführt hat oder ob drohende Bewirtschaftungseinschränkungen ein größeres Interesse an der Ressourcennutzung geweckt haben, lässt sich anhand unserer Daten nicht beantworten und schließt sich möglicherweise auch nicht gegenseitig aus. Die beiden folgenden Zitate verdeutlichen beide Erklärungsansätze sowie die negative Einstellung zum Schutzgebietsnetzwerk Natura 2000:

„Wer hat denn über Generationen hinweg den Wald zu dem gemacht, so wie er sich heute darstellt? Bei früheren Durchforstungsmaßnahmen wurde immer wieder darauf geachtet, einen Teil der älteren Bäume im Bestand stehen zu lassen, sodass wir heute über 200 jährige Buchen, über 100 jährige Fichten und Eichen in unseren Waldstücken vorfinden.“

„Viele Waldbesitzer sind gegen das FFH Gebiet in unserem Ort. Daher stehen bei ein[i]gen die Überlegung an, vorab den Wald nochmals intensiv zu bearbeiten. Heißt alte und schützenswerte Bäume sollen gefällt werden, oder, wenn die Parzellen recht klein sind, gerodet werden. Dies würde nicht passieren, wenn der Wald einfach ohne Einschränkung weiter bewirtschaftet werden könnte.“

Stehen alle Waldbesitzer mit Natura 2000-Gebieten diesem Schutzsystem negativ gegenüber? Natürlich gibt es individuelle Unterschiede, jedoch gaben Personen mit Natura-2000-Beständen häufiger an, dass sie sich in ihrer persönlichen Entscheidungsfreiheit bedroht fühlen. Zudem wünschten sie sich häufiger ein höheres Maß an Beteiligung, empfand die Naturschutzauflagen öfter als zu streng und die daraus resultierenden Kosten als zu hoch.

links: Kleinprivatwaldbestand, geformt durch ehemalige Niederwaldwirtschaft und ausgewiesen als Natura-2000-Gebiet, bei Dissen am Teutoburger Wald (Niedersachsen). Schön zu sehen sind hier das Totholz, die „krumme“ Wuchsform der Bäume und die strukturreichen Wurzelbereiche, die einen wertvollen Lebensraum für eine Vielfalt von Tier- und Pflanzenarten darstellen. Foto: Andreas Mölder

rechts: Durchgewachsener ehemaliger Niederwald in einem Kleinprivatwaldbestand, ausgewiesen als Natura-2000-Gebiet, bei Kreipke (Niedersachsen). Bei einer Niederwaldbewirtschaftung werden Bäume in Abständen von meist 10 bis 30 Jahren gefällt, sodass sie sich aus Stockausschlägen selbstverjüngen. Auf diese Weise entstehen aus einem Baum viele kleine Bäume und wertvolle Strukturen für die Artenvielfalt. Foto: Peter Hansen

Wie kann das Natura-2000-System verbessert werden?

Die vielfältigen Interessen der Waldbesitzenden sowie das Ziel von Natura 2000, auch die lokalen Gegebenheiten zu berücksichtigen, scheinen vielversprechende Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung des Schutzgebietsnetzes zu sein. Allerdings zeigen die Umfrageergebnisse, dass Waldbesitzende diese Sichtweise nicht unbedingt teilen: Personen mit Natura-2000-Gebieten stehen dem Naturschutz ablehnender gegenüber und haben ein stärkeres Interesse an der Ressourcennutzung. Was sind also mögliche Wege zur Verbesserung von Natura 2000?

Wir haben die Waldbesitzenden gefragt, welche politischen Instrumente sie zur Förderung von Naturschutzmaßnahmen hilfreich fänden. Beratung vor Ort, finanzielle Anreize, Informationen über die gesetzlichen Regelungen, Möglichkeiten zum Erfahrungsaustausch sowie Besichtigungen von Beispielwaldbeständen wurden am besten bewertet. Das bestehende Entschädigungssystem (Erschwernisausgleich), das in Niedersachsen unter bestimmten Bedingungen in Anspruch genommen werden kann, wurde nur von 2 % der Waldbesitzer mit Natura-2000-Beständen genutzt – 70 % kannten diese Möglichkeit nicht einmal. Daraus lässt sich schließen, dass die Instrumente, die im Rahmen des Erschwernisausgleichs eingesetzt werden, stärker an die Bedürfnisse und Anforderungen von Kleinwaldbesitzern angepasst werden sollten. Ein ergebnisorientiertes System, das den Besitzenden die Wahlfreiheit lässt, scheint hier ein vielversprechender Ansatz zu sein.

Darüber hinaus fordern die privaten Waldbesitzenden eine stärkere Einbeziehung in die Entscheidungsprozesse: Eine stärkere Beteiligung wird im Zusammenhang mit Natura 2000 häufig gefordert und soll die Akzeptanz erhöhen. Ein solches Vorgehen muss gegenseitiges Lernen ermöglichen, Vertrauen fördern und eine Vielzahl von Interessengruppen miteinbeziehen. Trotz der drohenden Klage der Europäischen Kommission gegen den deutschen Staat und dem daraus resultierenden Zeitdruck bei der Umsetzung von Natura 2000 in Deutschland ist eine Beteiligung notwendig, um weitere Konflikte bei der rechtlichen Sicherung der Gebiete sowie der Erstellung von Managementplänen zu vermeiden.

Da die Ausweisung von Schutzgebieten eine zentrale Strategie im Naturschutz ist, gilt es, aus den bisherigen Ansätzen und Schwierigkeiten der Vergangenheit zu lernen. Eine stärkere Berücksichtigung der Hauptinteressengruppe, in diesem Fall der privaten Kleinwaldbesitzenden, ist eine wichtige Lehre aus der bisherigen Umsetzung von Natura 2000, die sich auch auf andere Gebiete wie die Landwirtschaft übertragen lässt.

Zur Original-Studie:

Tiebel, M., Mölder, A. & Plieninger, T. (2021). Small-scale private forest owners and the European Natura 2000 conservation network: Perceived ecosystem services, management practices, and nature conservation attitudes. European Journal of Forest Research. https://doi.org/10.1007/s10342-021-01415-7
https://link.springer.com/article/10.1007/s10342-021-01415-7

Das Projekt „Kleinprivatwald und Biodiversität: Schutz durch Ressourcennutzung (KLEIBER)“ wird vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) über die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR) im Rahmen des Förderprogramms „Nachwachsende Rohstoffe“ und aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages (FKZ 22001218 und 22023218) gefördert.

*Die Zitate wurden zur besseren Lesbarkeit verändert. Dies betrifft die Rechtschreibung sowie die Satzstruktur

Quellen:

Titelbild: Strukturreicher ehemaliger Niederwald in einem Kleinprivatwaldbestand, ausgewiesen als Natura-2000-Gebiet, bei Hilter am Teutoburger Wald (Niedersachsen). Vor dem Laubaustrieb bedecken zahlreichen Frühblüher den Hang. Foto: Andreas Mölder

Malin Tiebel

Malin Tiebel

Malin Tiebel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Department für Agrarökonomie und Rurale Entwicklung. Im KLEIBER-Projekt (Kleinprivatwald und Biodiversität: Erhaltung durch Ressourcennutzung) arbeitet sie zusammen mit Dr. Andreas Mölder, Peter Hansen (beiden NW-FVA) und Prof. Dr. Tobias Plieninger (DARE) daran, die Ziele, Aktivitäten und Perspektiven von Kleinprivatwaldbesitzenden besser zu verstehen. Auf diese Weise sollen Erkenntnisse zur besseren Integration von Naturschutz und Ressourcennutzung gewonnen werden.

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