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– ein Beitrag von Dr. Gesa Busch, Sarah Iweala und Prof. Dr. Achim Spiller der Abteilung Marketing für Lebensmittel & Agrarprodukte, Uni Göttingen


Krisenzeiten ziehen oft Rufe nach mehr Selbstversorgung nach sich, so beispielsweise in der Nahrungsmittelpreiskrise 2007/2008. Damals waren überwiegend Bevölkerungsgruppen in Entwicklungs- und Schwellenländern von den Auswirkungen betroffen und so entstanden auch vornehmlich dort Bewegungen, die sich für eine nationale Lebensmittelproduktion, geprägt durch einen gesteigerten Selbstversorgungsgrad, einsetzten (Clapp, 2017). In den wohlhabenderen Ländern wird die Forderung nach mehr Regionalität in der Lebensmittelversorgung bisher vornehmlich aus Nachhaltigkeitsgründen formuliert. Wie reagiert die Bevölkerung in Deutschland jetzt auf die Corona-Krise?

Hat womöglich das ungewohnte Bild von leeren Supermarktregalen zu Beginn der Pandemie einen Wunsch nach mehr heimischer landwirtschaftlicher Produktion ausgelöst?

Mitte April haben wir in einer deutschlandweiten Konsumentenbefragung untersucht, wie sich die Corona-Pandemie auf das Einkaufs-, Ernährungs- und Kochverhalten auswirkt und wie Bürgerinnen und Bürger die Krisenfestigkeit des Ernährungssystems wahrnehmen. Die Ergebnisse sind in einem Diskussionspapier am Department für Agrarökonomie und Rurale Entwicklung der Universität Göttingen erschienen (Busch et al. 2020). Die Befragung von 947 Personen ist in Bezug auf Alter, Geschlecht, Bildung und regionale Verteilung repräsentativ für die Bevölkerung in Deutschland.

Die Befragten haben die leeren Regale bei Nudeln, Mehl, Hefe und Co. zu Beginn der Pandemie erlebt. Unsere Daten zeigen, dass sie entsprechend Lebensmittelknappheiten im Supermarkt befürchten, und dies in erster Linie bei Grundnahrungsmitteln, aber auch für saisonales Gemüse und exotisches Obst. „Hamsterkäufe“ anderer Einkäufer*innen sahen 67,7% der Befragten als wahrscheinlichsten Grund für mögliche Lebensmittelknappheiten an. Aber auch fehlende Arbeitskräfte wurden von der Mehrheit als wahrscheinlicher Grund für Knappheiten eingeschätzt. Eine Einschätzung, die mit der wahrgenommenen Gefahr, dass saisonales Gemüse im Rahmen der Pandemie knapp werden könnte, einhergeht. Hier hat die öffentliche und politische Diskussion um Einreiseverbote von Saisonarbeitskräften aus Osteuropa insbesondere für die Spargelernte die Verbraucher*innen für die Tatsache sensibilisiert, dass Saisonarbeitskräfte für die Ernte in Deutschland essentiell sind.

Des Weiteren lassen unsere Daten erkennen, dass die Mehrheit es für wahrscheinlich hält, dass Grenzschließungen und Lieferstopps in anderen Ländern zu Lebensmittelknappheiten beitragen können. Nationale Abschottungen anderer Länder werden also von einem Teil der Befragten als Gefahr für die Lebensmittelversorgung im eigenen Land gesehen. Es ist womöglich zum Teil dieser Wahrnehmung geschuldet, dass die Befragten einen hohen nationalen Selbstversorgungsgrad bei Lebensmitteln unterstützen. Genau darauf deuten unsere Ergebnisse bezüglich der Krisenfestigkeit des Ernährungssystems hin (siehe Abbildungen 1 und 2). Die Befragten stimmen relativ stark zu, dass eine Mindestmenge an Grundnahrungsmitteln in Deutschland produziert und von der Politik gefördert werden sollte. Nicht ganz so ausgeprägt, aber immer noch deutlich positiv, ist die Zustimmung zur stärkeren Krisenresilienz regionaler Lebensmittelsysteme. Die Zustimmung zu möglichen Krisenvorteilen einer global aufgestellten Nahrungsmittelherstellung ist dagegen wesentlich verhaltener.

Insgesamt lässt sich eine mehrheitlich globalisierungsskeptische Position in unseren Daten erkennen.“

 

Abbildung 1: Krisenfestigkeit von Ernährungssystemen aus Sicht der Verbraucher*innen
Abbildung 2: Regionale versus globale Produktion aus Sicht der Verbraucher*innen

Aber ist mehr nationale Selbstversorgung wirklich sinnvoll, um eine höhere Krisenfestigkeit zu erreichen?

Eine nationale Versorgung als Sicherheitsfaktor wird dann wichtiger, wenn Länder in Krisen nationalistisch reagieren und z. B. ihre Grenzen schließen und den Warenverkehr einschränken. Dies befürchtet die Bevölkerung nach den Ergebnissen unserer Befragung tatsächlich, und vor diesem Hintergrund wird die Forderung nach einer autarken Agrar- und Ernährungswirtschaft verständlich. Solange es an international abgestimmten Krisenpolitiken mangelt und Staaten selbst innerhalb der EU mit partiellen Grenzschließungen reagieren, ist das Argument der nationalen Versorgungssicherung nicht ganz von der Hand zu weisen.

Während der Corona-Pandemie hat sich das Lebensmittelsystem bisher für die OECD-Länder aber als einigermaßen stabil erwiesen (Orden, 2020). Es hat zwar “geruckelt”, aber die Lücken waren überschaubar. Nicht nur die Grundversorgung, sondern auch eine hochwertige, gesundheitsförderliche Ernährung war für alle Konsument*innen vom Warenangebot her jederzeit möglich. Europa hat es in der Krise bisher geschafft, versorgungskritische Transportwege und z. T. auch die Arbeitskräftemobilität aufrecht zu erhalten, so dass größere Engpässe ausgeblieben sind. Auch international sind die Lebensmittel-Logistikstrukturen bisher hinreichend stabil geblieben, auch wenn mittelfristig einige Risiken für Lieferungen aus Schwellen- und Entwicklungsländern bleiben (Orden, 2020).

Doch kleinteilige Strukturen bieten möglicherweise mehr Redundanzen, d.h. unter Effizienz-Gesichtspunkten nachteilige, unter Resilienz-Aspekten jedoch vorteilige Organisationsstrukturen, die sie krisenfester machen (z.B. Zusammenarbeit mit mehreren Transportunternehmen). Kleinteilige Strukturen sind für nationale Systeme, wenn man sie als abgeschlossenes System betrachten möchte, relevant, wie das Beispiel der amerikanischen Fleischwirtschaft zeigt. Die großen Fabriken von Tyson und Cargill wurden aufgrund von Coronainfektionen lahmgelegt und haben aufgrund ihrer Größe die Kapazitäten zum Verarbeiten von Rind- und Schweinefleisch in den USA deutlich reduziert. Somit ist auch das Angebot in den Supermärkten massiv eingebrochen. Kleinere Schlachthäuser und verarbeitende Betriebe, die sich auf „specialty meat“ konzentrieren, erscheinen bisher resilienter, u.a. weil es für sie einfacher ist, die Arbeitsplätze an die neuen Bedingungen anzupassen (z.B. Abstandsregeln einzuhalten) als in den großen Fabriken. Auch sind sie weniger auf Niedriglohnkräfte angewiesen. Abnehmer der dort hergestellten Ware haben auch mehr Ausweichmöglichkeiten, sollte es doch zu Ausfällen kommen. Diese Vorteile haben allerdings auch ihren Preis. Dies kann, zumindest temporär, dazu führen, dass Fleisch für einige Bevölkerungsgruppen zu teuer wird. Auch in unserer Befragung hat sich gezeigt, dass Angst vor steigenden Lebensmittelpreisen eine der größten Sorgen der Befragten während der Pandemie ist.  

Auf der anderen Seite bieten ausgebaute (internationale) Handelsstrukturen Ausgleichsmöglichkeiten, wenn es zu lokalen Hotspots der Pandemie kommt. So soll bspw. das reduzierte Angebot an Rindfleisch in den USA durch höhere Importe aus Ländern Südamerikas gedeckt werden, zudem werden mehr digitale Technologien in großbetrieblichen Strukturen genutzt (Torero, 2020). Einfache Empfehlungen zur Förderung von regionalen Ernährungssystemen, die derzeit gegeben werden, sind möglicherweise zu kurz gedacht (Lusk, 2020). Es könnte sich zeigen, dass regionale Systeme für bestimmte Krisen resilienter, für andere (z. B. Wetterrisiken) aber auch deutlich anfälliger sind. Allerdings sind diese Aspekte bisher nicht wirklich ausreichend analysiert (vgl. zu verschiedenen Krisentypen Marten & Atalan-Helicke, 2015; Stave & Kopainsky, 2015). Biehl et al. (2017) empfehlen in ihrer Studie, die lokale und regionale Nahrungsmittelwirtschaft zu unterstützen, aber auch die Redundanzen in der globalen Nahrungsmittelversorgungskette auszubauen, um so Ausweichmöglichkeiten für Krisenzeiten zu schaffen.

Als „Knackpunkt“ für die Krisenfestigkeit der Wertschöpfungsketten haben sich im bisherigen Verlauf der Pandemie vor allem Arbeitskräfte im Niedriglohnsektor herausgestellt. Die zentrale Bedeutung von Arbeitskräften hatte bereits 2015 eine Simulationsstudie für das amerikanische Ernährungssystem während einer Pandemie identifiziert (Huff et al., 2015). Waren in Deutschland zunächst Erntehelfer in der Diskussion, so stehen im Mai die Arbeitskräfte in Schlachthöfen aufgrund der hohen Infektionsraten im Vordergrund der Debatte. Der Ernährungssektor ist ein Bereich der Wirtschaft, in dem Niedriglöhne sowie prekäre Arbeits- und Unterbringungsbedingungen besonders stark verbreitet sind (Klemt & Lenz, 2018). Diese ohnehin problematische Organisation des Sektors wird in Krisenzeiten weiter verschärft.

Konzepte des Krisen- bzw. Resilienzmanagements für solch große Katastrophen wie eine Pandemie zeigen, dass Krisenvorsorge auch Elemente eines öffentlichen Gutes hat und vom privaten Sektor allein nicht bereitgestellt wird (Boin & McConnell, 2007; Peck, 2006). Deutschland ist eines der wenigen Länder mit einer beachtlichen staatlichen Nahrungsmittelreserve, die ein zusätzliches Polster in Krisenzeiten bietet (China hat z. B. in Wuhan Teile seiner nationalen Fleischreserve verwendet (Galanakis, 2020)).

Insgesamt gibt es zur Resilienz von Agrar- und Ernährungssystemen noch erheblichen Forschungsbedarf. Meuwissen et al. (2019) erläutern folgende fünf Treiber von Resilienz:

  1. Diversität, da Teilsysteme nicht gleichermaßen auf Schocks reagieren,
  2. Modularität, d.h. die interne Aufteilung des Systems in voneinander unabhängige, aber miteinander verbundene Teile,
  3. Offenheit, d.h. unterschiedliche Verbindungsmöglichkeiten zwischen Systemen,
  4. Abkoppelungsmöglichkeiten für Teilsysteme, wenn andere versagen, und schließlich
  5. Systemreserven, d.h. Ressourcenvorräte in Form von natürlichem, wirtschaftlichem und sozialem Kapital, auf die ein System bei der Reaktion auf Stress zugreifen kann.

Welchen Stellenwert Regionalität hier einnehmen kann oder ob es nicht eher auf eine geschickte Verknüpfung regionaler und internationaler Elemente sowie staatlicher Lagerhaltung ankommt, bleibt zu analysieren. Sinnvoll wären vertiefte Studien zur Krisenfestigkeit von Agrar- und Ernährungssystemen bei verschiedenen Krisentypen.

„Eine zu schnelle Fixierung auf die heimische Landwirtschaft ist zu kurz gegriffen. Zum Teil werden hier wohl gerade auch protektionistische Ziele in neuem Gewand positioniert.


Gesa Busch et al.(2020). Einkaufs- und Ernährungsverhalten sowie Resilienz des Ernährungssystems aus Sicht der Bevölkerung: Ergebnisse einer Studie während der Corona-Pandemie im April 2020. Diskussionsbeitrag Nr. 2003 des Departments für Agrarökonomie und Rurale Entwicklung der Georg-August-Universität Göttingen, Göttingen, Mai 2020

Weitere zitierte Literatur:

Biehl, E., Buzogany, S., Huang, A., Chodur, G. & Neff, R. (2017). Baltimore Food System Resilience Advisory Report. Baltimore, U.S.: John Hopkings University, Baltimore Office for Sustainability. Retrieved from https://clf.jhsph.edu/sites/default/files/2019-01/baltimore-food-system-resilience-advisory-report.pdf

Boin, A. & McConnell, A. (2007). Preparing for Critical Infrastructure Breakdowns: The Limits of Crisis Management and the Need for Resilience. Journal of Contingencies and Crisis Management, 15(1), 50–59. https://doi.org/10.1111/j.1468-5973.2007.00504.x

Clapp, J. (2017). Food self-sufficiency: Making sense of it, and when it makes sense. Food Policy, 66, 88–96. https://doi.org/10.1016/j.foodpol.2016.12.001

Galanakis, C. M. (2020). The Food Systems in the Era of the Coronavirus (COVID-19) Pandemic Crisis. Foods, 9(4), 523. https://doi.org/10.3390/foods9040523

Huff, A. G., Beyeler, W. E., Kelley, N. S. & McNitt, J. A. (2015). How resilient is the United States’ food system to pandemics? Journal of Environmental Studies and Sciences, 5(3), 337–347. https://doi.org/10.1007/s13412-015-0275-3

Klemt, S. & Lenz, S., (2018). Verdienste. Datenreport 2018. Ein Sozialbericht für die Bundesrepublik Deutschland, Bonn: 166-176.

Lusk, J. (2020). Ruminations on solutions to the covid-related food disruptions. Retrieved May 13, 2020, from http://jaysonlusk.com/blog/2020/5/12/ruminations-on-solutions-to-the-covid-related-food-disruptions

Marten, G. G. & Atalan-Helicke, N. (2015). Introduction to the Symposium on American Food Resilience. Journal of Environmental Studies and Sciences, 5(3), 308–320. https://doi.org/10.1007/s13412-015-0310-4

Meuwissen, M. P. M., Feindt, P. H., Spiegel, A., Termeer, C. J. A. M., Mathijs, E., Mey, Y. de, … Reidsma, P. (2019). A framework to assess the resilience of farming systems. Agricultural Systems, 176, 102656. https://doi.org/10.1016/j.agsy.2019.102656

Orden, D. (2020). Resilience test of the North American food system. Canadian Journal of Agricultural Economics/Revue Canadienne d’agroeconomie, cjag.12238. https://doi.org/10.1111/cjag.12238

Peck, H. (2006). Resilience in the Food Chain: A Study of Business Continuity Management in the Food and Drink Industry. Retrieved May 2, 2020, from https://www.cips.org/documents/resources/research/defra%20report%20-%20resiliance%20in%20the%20food%20chain.pdf

Stave, K. A., & Kopainsky, B. (2015). A system dynamics approach for examining mechanisms and pathways of food supply vulnerability. Journal of Environmental Studies and Sciences, 5(3), 321–336. https://doi.org/10.1007/s13412-015-0289-x

Torero, M. (2020). Without food, there can be no exit from the pandemic. Nature, 580(7805), 588–589. https://doi.org/10.1038/d41586-020-01181-3[/vc_column_text][/vc_column][/vc_row]

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