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Heute stellt sich daher nicht mehr nur die Frage WIE Tiere gehalten werden sollten, sondern auch OB überhaupt, bzw. wenn WELCHE und WIEVIELE.

Die gesellschaftliche Wahrnehmung bzw. Einstellung gegenüber der landwirtschaftlichen Tierhaltung wird heute von mehreren Faktoren wie Tierwohl, Umwelt- und Klimaschutz oder Ernährungsfragen beeinflusst. Es stellt sich vielen Menschen deshalb nicht mehr nur die Frage, WIE Tiere zur Produktion von Lebensmitteln gehalten werden sollen, sondern OB überhaupt und wenn ja, WELCHE und WIEVIELE?

Zur Entwicklung von Szenarien für die zukünftige Entwicklung der landwirtschaftlichen Tierhaltung wurden deshalb 2020/21 eine breite Auswahl von Interessenvertreter*innen aus den Bereichen Landwirtschaft / Tierhaltung (konventionell, alternativ, bio, vegan), Tierschutz, Klima- und Umweltschutz sowie Verbraucherschutz in Deutschland vom SocialLab Nutztiere (https://www.sociallab-nutztiere.de/) zu gemeinsamen Diskussion eingeladen. Die so gesammelten 20 und anschließend zusammengefassten Szenarien wurden dann auf ihre Akzeptanz hin untersucht. Dabei konnte jeder Teilnehmer in einem Telefoninterview Mitte 2021 angeben ob und aus welchen Gründen er das jeweilige Szenario unterstützen würde.

Lange Zeit war die Frage, WIE die landwirtschaftliche Tierhaltung aussehen sollte. Dabei ging es vornehmlich um das kleinteilige Design von Ställen und das Management auf den Betrieben. In dieser Tradition stehen die Entwicklung von Tierwohllabels und Tierwohlstandards, Kriterien für verschiedene Haltungsformen. Wie viel Platz, Luft, Licht, Beschäftigung, Bewegung, soziale Kontakte, artgerechtes Verhalten, Betreuung, Komfort und welches Futter stehen dem landwirtschaftlich genutzten Tier zu?

Erst langsam, aber stetig kommen komplexere gesellschaftliche Gestaltungsansprüche hinzu. Heute stellt sich daher nicht mehr nur die Frage WIE Tiere gehalten werden sollten, sondern auch OB überhaupt, bzw. wenn WELCHE und WIEVIELE.

Aktuell werden nach und nach von unterschiedlichen Akteuren verschiedene Zielbilder für die zukünftige Entwicklung der landwirtschaftlichen Tierhaltung gezeichnet. Oft bleibt jedoch völlig offen, für wie akzeptabel diese Szenarien und vor allem der zu ihrer Erreichung notwendige Transformationsprozess von den unterschiedlichen Interessengruppen gehalten werden.

Die vom SocialLab Nutztiere gesammelten 20 und zu drei Szenarien zusammengefassten Skizzen geben einen Überblick über das Spektrum der Entwicklungsoptionen wieder. Die drei Szenarien (Bewahrer – Abstocker – Veganer) für die zukünftige Entwicklung der landwirtschaftlichen Tierhaltung in Deutschland unterscheiden sich fundamental voneinander. Dies gilt sowohl für ihre Zielsetzung als auch für die ihnen zugrundeliegenden Motive und Umsetzungsansätze. Das theoretisch denkbare Szenario einer zukünftigen Aufstockung der Tierhaltung wurde von keinem der teilnehmenden formuliert und auch auf Nachfrage nicht in die Diskussion aufgegriffen.

Bewahrer: Status Quo erhalten – Tierhaltung minimal anpassen

Dieses Szenario wird von Befürwortern konventioneller Land- und Ernährungswirtschaft vertreten, die vor allem die wirtschaftliche Situation der Branche verbessern wollen. Es geht darum Sicherheit zu schaffen für Landwirte, nachgelagerte Industrie und so wenig wie möglich zu riskieren. Die Nutzung von Tieren wird nicht grundsätzlich hinterfragt und es herrscht ein ausgeprägtes Misstrauen in die als Modeerscheinung wahrgenommenen Nachhaltigkeitsbedürfnisse der Gesellschaft. Verlangt werden mehr Verständnis und Wertschätzung für die massenhafte Erzeugung hochwertiger tierischer Produkte zu geringen Verbraucherpreisen wie es über viele Jahre erwünscht gewesen ist. An der Exportorientierung der Fleischindustrie wird nicht gezweifelt. Erst durch Veränderungen des Ordnungsrechts und bei entsprechender finanzieller Unterstützung würden technische oder organisatorische Anpassungen für mehr Tierwohl oder Klimaschutz in Erwägung gezogen. Keinesfalls würde jedoch freiwillig in Vorleistung gegangen. Eine Aufstockung der Tierbestände wird unter den aktuellen Bedingungen in Deutschland insgesamt nicht für realistisch gehalten, eine Reduktion jedoch strikt abgelehnt.

Abstocker: Umbau & Reduktion

Für einen Umbau der Tierhaltung plädieren Tier- Umwelt und Klimaschützer, aber auch eine Reihe unterschiedlicher landwirtschaftlicher Verbände, die bereits heute alternative oder biologische Wirtschaftsweisen vertreten. Es wird eine tiergerechtere, umwelt- und klimafreundlichere Tierhaltung gefordert, die nur dann umsetzbar ist, wenn die Größenordnungen der Tierhaltung deutlich reduziert werden. Es geht um die Erreichung eines fairen Deals sowohl zwischen Mensch und Tier als auch zwischen den verschiedenen Wertschöpfungsstufen. Es wird dementsprechend eine Abkehr der Exportfokussierung sowie der Verwendung von aus Übersee importierten Eiweißfuttermitteln gefordert. Es gibt Überlegungen wieder eine stärkere Flächenbindung der Tierhaltung zu erreichen und über neue regionale Verteilungen der Tierhaltung in Deutschland nachgedacht. Eine bewusste Reduktion des Konsums tierischer Produkte im Sinne flexitarischer oder vegetarischer Ernährungsweisen sieht das Szenario ausdrücklich vor. Angestrebt wird ein Qualitätswettbewerb als Gegenentwurf zum aktuell vorherrschenden Kostenwettbewerb.

Es gibt innerhalb des Szenarios eine Bandreite der geforderten Reduktionsziele. Manche verlangen die Reduktion aller Tierbestände bis 2050 um mindestens die Hälfte, viele wollen bereits viel früher viel stärkere Rückgänge erreicht sehen. Ob die Reduktion der Tierhaltung gleich alle Tierarten bzw. Haltungsformen betrifft wird nicht deutlich. Einige Stimmen sprechen sich dafür aus vor allem die Schweinehaltung stark zu reduzieren. Grünlandgebundene Rinderhaltung wird jedoch aus klima- und artenschutzgründen weiterhin für sehr sinnvoll erachtet. Auch bei der Ausgestaltung der Haltungsformen bleiben bei diesem Szenario einige offene Fragen. Mehr Platz, Bewegungs- und Wahlfreiheit, Zugang zu Frischluft und Licht sind zunächst unstrittige Forderungen innerhalb des Szenarios, allerdings bleibt offen wie viel denn mehr konkret bedeutet. Auch ist nicht eindeutig, ob geschlossene Stallsysteme weiterhin akzeptiert würden, der Zugang zu Außenklima ausreichen würde, oder ob Tierhaltung nur in Verbindung mit Weidegang gewünscht wird.

Vegan

Aus ethischen Gründen lehnen einige Tierschützer und vor allem Tierrechtler jegliche landwirtschaftliche Nutzung von Tieren grundsätzlich ab. Mit Hilfe von Ansätzen wie der biozyklisch veganen Anbauweise wird eine Landwirtschaft ohne Tierhaltung für möglich und auch aus klimaschutzgründen für sinnvoll befunden. Der Verzicht auf tierische Lebensmittel wird ermöglicht durch pflanzliche Alternativen oder neue Produkte wie cultured meat.

Wer für die Umsetzung der Abschaffung landwirtschaftlicher Tierhaltung zuständig sein soll bleibt vage. Argumentiert wird, dass wenn das Tierschutzgesetz ernst genommen würde und die entsprechenden ethischen Wertvorstellungen des Abolitionismus zu dessen Auslegung zugrunde gelegt würden ein Verbot der Tierhaltung nur logisch wäre.

Der Vergleich

Drei hier diskutierten Szenarien zeigt wie unterschiedlich die Entwicklungsoptionen der Tierhaltung aktuell von den verschiedenen Stakeholdern gesehen werden. Dies lässt sich auf die unterschiedlichen Motive zurückführen, die den Szenarien zu Grunde liegen. Während das Szenario Status Quo erhalten – Tierhaltung minimal anpassen hauptsächlich wirtschaftlich motiviert ist und das vegane Szenario eindeutig aus Tierschutz- bzw. Tierrechtsperspektive ethische motiviert wird, erscheint das Szenario Reduktion und Umbau der Tierhaltung erheblich differenzierter. Dies trifft nicht nur auf die angeführten Motive für das Aufstellen dieses Szenarios zu, sondern auch für die formulierten Zielbilder.

Während das Status Quo Szenario beharrenden Charakter hat und wenig Eigendynamik oder Initiative erkennen lässt, werden im Szenario Umbau und Reduktion verschiedenste Konzepte, die ganzheitliche Veränderungen und Transformationsprozesse anstoßen würden aufgezeigt. Hier besteht keinerlei Zweifel daran, dass sie die aktuelle Form der Tierhaltung als nicht nachhaltig erwiesen hat und deshalb zum Wohle der Tiere, aber auch nachfolgender Generationen von Landwirten, Verbrauchern und Bürgern zeitnah neue Wirtschafts- und Ernährungsweisen ermöglicht werden müssen. Von dieser Notwendigkeit zur Veränderung ist im Szenario Status quo nichts zu spüren. Hier würde eher passiv reagiert auf politischen und rechtlichen Druck, nicht aber aus eigenem Antrieb heraus. Der Druck von Marktseite wird bisher nicht als ausschlaggebend für Veränderungen wahrgenommen. Dementsprechend werden, wenn dann technische oder organisatorische Anpassungen vorgesehen, nicht aber ganzheitliche Systemveränderungen, die bis zur Veränderung von Konsum und Umgang mit tierischen Lebensmitteln gehen würden.

Die für die Entwicklung hin zum gewünschten Szenario als wichtig betrachteten Akteure sind bei den extremen Szenarien die Politik und Verbraucher. Beim Szenario Umbau & Reduktion wird außerdem die ganze Wertschöpfungskette mit all ihren Akteuren in den Blick genommen.

Die Akzeptanzabfrage

Das Szenario mit dem geringsten Veränderungspotential wird insgesamt kaum mehr als akzeptabel angesehen, aber dennoch oder gerade deswegen zum Teil vehement verteidigt was angesichts der sich in den letzten Monaten rasant veränderten Debattenlage oft verzweifelt und nur noch wenig seriös erscheint.

Aus der Akzeptanzabfrage lässt sich des Weiteren ableiten, dass eine komplette Abschaffung der landwirtschaftlichen Tierhaltung nur für die wenigsten Akteure zurzeit ernsthaft in Frage kommt. Manche Tierschützer würden sich ein solches Fernziel ihrer Arbeit zwar wünschen, allerdings sehen sie es aus heutiger Perspektive als äußerst unwahrscheinlich an es zu erreichen. Viele sind auch wenn sie die aktuelle Form der Tierhaltung zum Teil heftig kritisieren nicht grundsätzlich gegen die landwirtschaftliche Nutzung von Tieren und stark verwurzelt im landwirtschaftlichen Milieu.

Am wichtigsten erscheint den meisten Teilnehmern deshalb ein Umbau der Tierhaltung. Wie genau die Tierhaltung dann aussehen soll und wie der Umbau passieren soll, dazu gibt es unterschiedliche Meinungen. Es gibt die einen, die eine solche Entwicklung klar begrüßen, aber nur, wenn die Entwicklung nicht auf Kosten der Landwirte geschieht, sprich genügend staatliche Gelder bereitgestellt werden für Anpassungen an die Veränderungen. Andere knüpften ihre Akzeptanz für diese Entwicklungsrichtung an klare Forderungen gegenüber den Bürgern bzw. Verbrauchern ihr Konsumverhalten logischer und konsequenter zu gestalten.

Es bestehen unterschiedliche Präferenzen für die Erreichung des Umbau- und Reduktionsszenarios. Einige fordern ordnungsrechtliche Regelungen um den gewünschten Zustand der landwirtschaftlichen Tierhaltung in Zukunft zu erreichen. Andere setzen vehement auf Freiwilligkeit, Eigeninitiative und gesellschaftliches Engagement, das bewusste Konsumentscheidungen miteinschließt.

Bei der Verständigung auf Zielbilder für einen Umbau der Tierhaltung erweisen sich vor allem sprachliche Ungenauigkeiten als tückisch bzw. hinderlich. Sowohl Befürworter des Status Quo als auch denen des Umbaus und der Reduktion geht es um mehr Tierwohl und Klimaschutz. Wie dieses mehr jedoch definiert ist, kann sehr verschieden sein. Auch bleiben aus diesem Grund viele Fragen zur konkreten Ausgestaltung von Ställen, dem Management auf den Betrieben und entlang der Wertschöpfungsketten offen. Diese Fragen sind aber neben der rechtlichen und finanziellen Umsetzung dringend zu klären, da die Zeit für den Transformationsprozess ohnehin knapp bemessen ist. Wie genau dieser Transformationsprozess gestaltet werden sollte um erfolgreich verlaufen zu können ist dringend zu planen und so zu organisieren, dass die Akzeptanz für die Ergebnisse nicht bereits an der Akzeptanz des Entwicklungsprozesses scheitert. Zu beachten sind die Auswahl der aktiven Akteure, deren Rolle und Positionen während des Prozesses sowie die Konzeption, Dokumentation und Transparenz. Eine wissenschaftliche Begleitung sowie professionelle Moderation des Transformationsprozesses sind dabei wichtig ebenso die Rückkopplung von in Stakeholder Runden entworfenen Ideen an die Bevölkerung.

Quellen:

Abbildungen: Dollbaum 2021

Dr. Marie von Meyer-Höfer

Dr. Marie von Meyer-Höfer

Frau Marie von Meyer-Höfer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Marktanalyse des Thünen-Institut. Sie analysiert u.a. die Wahrnehmung und die Präferenzen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen gegenüber unterschiedlichen Produktionsverfahren und ihren Erzeugnissen sowie die Akzeptanz neuartiger Produkte und Technologien.

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