”Zudem sollten sie es vermeiden, bei einer der Nachhaltigkeits-Dimensionen ein sehr negatives Label zu haben, insbesondere beim Tierwohl und in Bezug auf Klimaauswirkungen
Dr. Winnie Isabel SonntagAbteilung Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte, Georg-August-Universität Göttingen
Göttinger Forschungsteam untersucht Umgang mit Nachhaltigkeitslabeln auf Produkten
Für Verbraucherinnen und Verbraucher ist es beim Einkauf im Supermarkt nicht immer leicht, nachhaltige und gesunde Lebensmittel zu erkennen. Mit der Einführung von immer mehr Labeln sind zunehmend auch widersprüchliche Informationen auf dem gleichen Lebensmittel zu finden: Ein Produkt, was beispielsweise mit dem Nutri-Score „gut“ abschneidet, ist nicht unbedingt klima- oder umweltfreundlich und umgekehrt. Finden sich Verbraucherinnen und Verbraucher bei dieser Vielzahl an Labeln eigentlich noch zurecht? Und wie entscheiden sie sich, wenn sich die Informationen auf dem Produkt widersprechen? Ein Forschungsteam der Universität Göttingen und der Copenhagen Business School hat nun herausgefunden, dass mehrstufige Label eine Hilfestellung für einen nachhaltigen und gesunden Lebensmitteleinkauf sein können. Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift Food Quality and Preference erschienen.
In einem online-gestützten Auswahl-Experiment zeigten die Forschenden 985 Teilnehmerinnen und Teilnehmern zwei Produkte (Vollmilch und Hühnerbrust) mit unterschiedlichen, mehrstufigen Nachhaltigkeits-Labeln. Dabei wurden das einstufige Bio-Siegel, der mehrstufige Nutri-Score, die mehrstufige Tierhaltungskennzeichnung und ein mehrstufiges fiktives Klimalabel präsentiert, bei dem nicht immer alle Label positiv waren. So konnte es beispielsweise passieren, dass ein Paket Hühnerbrust sowohl mit dem Bio-Siegel als auch mit einem negativen Klimalabel bedruckt war.
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass insbesondere mehrstufige Label für Verbraucherinnen und Verbraucher eine Hilfestellung für einen nachhaltigen und gesunden Lebensmitteleinkauf sein können. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bevorzugten vor allem das bereits am Markt existierende Tierwohllabel sowie das fiktive Klimalabel und kamen sogar mit widersprüchlichen Informationen sehr gut zurecht. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Verbraucherinnen und Verbraucher in der Lage sind, auch bei zwei unterschiedlich ausfallenden Nachhaltigkeits-Labeln rational zu entscheiden und nicht je nach Ausrichtung des Labels (also positiv oder negativ) hin und her zu wechseln“, sagt Dr. Winnie Sonntag vom Lehrstuhl Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte der Universität Göttingen.
Die Ergebnisse bieten vor allem Politik und Wirtschaft Hilfestellung für eine zielführende Lebensmittelkennzeichnung. Für die Lebensmittelhersteller bedeutet die Studie auch, dass durchaus mehrere Nachhaltigkeitslabel auf der Produktverpackung zumutbar sind. „Zudem sollten sie es vermeiden, bei einer der Nachhaltigkeits-Dimensionen ein sehr negatives Label zu haben, insbesondere beim Tierwohl und in Bezug auf Klimaauswirkungen“, so Sonntag.
Originalveröffentlichung: Sonntag, W. I. et al. (2022). Welcome to the (label) jungle? Analyzing how consumers deal with intra-sustainability label trade-offs on food. Food Quality and Preference 104746 DOI: https://doi.org/10.1016/j.foodqual.2022.104746
Kontakt
Dr. Winnie Isabel Sonntag
Georg-August-Universität Göttingen
Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte
winnie.sonntag@uni-goettingen.de
Dr. Maureen Schulze
Copenhagen Business School
masc.msc@cbs.dk
Hallo Frau Sonntag,
ich kann mir gut vorstellen, dass der Mensch mit gegenläufigen Informationen gut zurecht kommt; denn das entspricht ja unserer Lebenswirklichkeit seit Jahrhunderttausenden. Aber wie sieht es mit der mittel- bis langfristig zu erwartenden Frustration aus, wenn man – um im Bild zu bleiben – regelmäßig zwischen klimaschädlicher Bio-Hühnerbrust und konventioneller, aber klimaneutral erzeugter Hühnerbrust entscheiden muss bzw. in vergleichbaren Dilemmata gefangen gehalten wird? Könnte es nicht sein, dass einem dann irgendwann die mentale Energie ausgeht und man einfach irgendeine Hühnerbrust konsumiert? Ich vermute – bislang ohne Datengrundlage – dass die einzige Lösung für dieses Problem darin besteht, die verschiedenen Nachhaltigkeitskategorien (also bspw. Tier-, Natur-, Umwelt- und Klimaschutz) in einem transparenten All-in-one-Label miteinander zu verrechnen, so dass nur ein einziger Wert (für die Gesamt-Nachhaltigkeit des Produkts) auf dem Lebensmittel angegeben wird.
Jörg Luy (INSTET Forschungs- und Beratungsinstitut für angewandte Ethik, Berlin)