Mit Übermittlung des Abschlussberichtes an die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung ist das Projekt TIGER nunmehr erfolgreich abgeschlossen. Vier Jahre lang hatten Wissenschaftler*innen der Uni Göttingen in einem Verbund unter Leitung des Friedrich–Loeffler–Institutes gemeinsam mit Praxispartnern an tierschutzgerechten Alternativen zur Betäubung von Schlachtschweinen geforscht. Vom Department für Nutztierwissenschaften der Fakultät für Agrarwissenschaften waren die Abteilungen Produktqualität tierischer Erzeugnisse (Prof. Daniel Mörlein) und Genetik und züchterische Verbesserung funktioneller Merkmale (Prof. Jens Tetens) beteiligt; die studierte Agrarwissenschaftlerin Julia Gelhausen ist Doktorandin im Projekt.
”Die geringen Unterschiede in der Fleischbeschaffenheit zeigen sich hier ohne praktische Relevanz.
Prof. Dr. Daniel MörlenProfessor für Produktqualität tierischer Erzeugnisse; Department für Nutztierwissenschaften, Georg-August-Universität Göttingen
Warum waren diese Untersuchungen notwendig?
Die Betäubung von Schlachtschweinen mit CO2 steht in der Kritik, weil in der Einleitungsphase vor Verlust des Wahrnehmungs- und Empfindungsvermögens aversive Reaktionen auftreten. Inertgase wie Argon und Stickstoff und Gemische mit diesen Gasen werden als mögliche Alternativen diskutiert. Aufgrund von Bedenken hinsichtlich der Betäubungseffizienz, der Stabilität der Gasgemische sowie der Fleischbeschaffenheit werden sie aber bisher nicht in der Praxis eingesetzt. Ziel des Projektes TIGER war es, eine Gasatmosphäre als Alternative zu CO2 in hoher Konzentration zu identifizieren, die nach Möglichkeit die für Inertgase berichtete geringere Aversivität mit der für CO2 nachgewiesenen guten Betäubungseffizienz und Fleischqualität kombinieren kann. Dafür wurde in einem kommerziellen Dip-Lift-System eine neue, patentierte Begasungstechnik installiert, die einen Restsauerstoffgehalt < 1 % im offenen System der Grube sicherstellen kann. Im Rahmen eines genehmigten Tierversuchs wurden zuerst in einer Selektionsphase mit anschließender Optimierungsphase Aspekte zum Tierschutz (aversive Reaktionen, notwendige Expositionszeit zur Sicherstellung einer ausreichenden Betäubung) sowie die Fleischbeschaffenheit untersucht.
Was haben die Untersuchungen ergeben?
Insgesamt traten aversive Reaktionen (einschließlich Vokalisationen) vor Verlust des Standvermögens bei den untersuchten Inertgasen und Inertgasgemischen im Vergleich zu CO2 in hohen Konzentrationen seltener und wenn, dann kürzer, auf. Ein erhöhter Anteil an Vokalisationen vor Verlust des Standvermögens bei Inertgasen bedarf jedoch weiterer Untersuchungen.
Die ermittelte notwendige Bodenstandzeit der Gondel war bei der Verwendung von reinen Inertgasen im Vergleich zu CO2 etwa 40% länger, wobei die längsten notwendigen Expositionszeiten für Gasgemische mit 20 % Kohlendioxidanteil berechnet wurden.
Die Fleischqualitätsparameter (pH-Wert, Temperatur und elektrische Leitfähigkeit) wurden Im Kotelett und Schinken 40 min und 36 h (Selektionshase) bzw. 24 h (Optimierungsphase) post mortem bewertet. Tropfverlust, Kochverlust, Scherkraft und Farbe wurden im Kotelett (Selektionsphase) und im Schinken (Optimierungsphase) untersucht. In der Selektionsphase wurden geringe Unterschiedefür pH45min und pH36h in Schinken und Kotelett festgestellt. In der Optimierungsphase wurden Unterschiede für pH45min im Kotelett nachgewiesen. Auch wenn diese Unterschiede teilweise statistisch signifikant waren, waren sie numerisch marginal und ohne praktische Relevanz. Die Lager- und Kochverluste sowie Zartheit und Fleischfarbe vor/nach Lagerung zeigten sich vergleichbar zwischen allen untersuchten Atmosphären. Neben den genannten Parametern wurden auch Einblutungen im Schinken untersucht, wobei sich Versuchstags- und Tiereffekte zeigten. Auftretende Einblutungen scheinen dabei nicht ausschließlich durch das Gasgemisch beeinflusst zu sein. Auch der genetische Hintergrund könnte eine Rolle spielen.
Welche wirtschaftlichen Folgen hätte eine Umstellung?
Die neue Begasungstechnik kann leicht und kostengünstig in den praxisüblichen Anlagen installiert werden. Die verlängerten Standzeiten und die höheren Gaskosten müssen jedoch in Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit in Betracht gezogen werden. Insgesamt betragen die erwarteten Mehrkosten bis zu 1 Cent pro Kilogramm Fleisch.
Technische Versuche im Paternoster-System zeigten, dass durch Einsatz der neuen Begasungstechnik auch in diesem System mit mehreren Gondeln ein niedriger Restsauerstoffgehalt unter 1 % erreicht wird. In Abhängigkeit von den Ergebnissen noch ausstehender tierbasierter Untersuchungen im Paternoster-System erscheint ein Einsatz der Inertgase in der Praxis unter Verwendung der nachrüstbaren Technik realisierbar zu sein.
Zwar sind bei den untersuchten Inertgasgemischen längere Expositionszeiten im Vergleich zu CO2 in hohen Konzentrationen notwendig. Diese Gasgemische weisen jedoch in der Einleitungsphase aufgrund der reduzierten Aversion vor Standvermögensverlust deutliche Vorteile in Bezug auf den Tierschutz auf. Zudem konnten keine relevanten Unterschiede in der Fleischbeschaffenheitfestgestellt werden.
Fazit
Die Untersuchungen im TIGER-Projekt haben gezeigt, dass inerte Gase unter kommerziellen Bedingungen zur Betäubung von Schachtschweinen verwendet werden können. Die im Projekt weiterentwickelte, neue und patentierte Begasungstechnologie kann in bestehenden Anlagen nachgerüstet werden. Mit dieser Technologie konnten inerte Gasatmosphären mit einem Restsauerstoffgehalt von < 1 % in der offenen Grube einer Betäubungsanlage mit Dip-Lift-System erreicht und gehalten werden. Die Untersuchungen zeigten, dass bei den untersuchten Inertgasgemischen im Vergleich zu CO2 in hoher Konzentration zwar längere Expositionszeiten notwendig sind, diese jedoch aus Sicht des Tierschutzes aufgrund der Reduktion der Aversion in der Einleitungsphase deutliche Vorteile aufweisen. Darüber hinaus war bei den eingesetzten Inertgasgemischen keine relevante Verschlechterung der Fleischqualität feststellbar.
Wie geht es weiter?
Um diese Technik in Zukunft auch in Schlachtbetrieben mit hohen Schlachtzahlen einsetzbar zu machen, muss dieses Verfahren auch in kontinuierlich arbeitenden Betäubungsanlagen mit Paternoster-System untersucht werden. Im TIGER-Projekt durchgeführte technische Vorversuche in einem Praxisbetrieb mit Paternoster-System ergaben, dass mit der neuen Begasungstechnik auch in einem Paternoster-System mit mehreren Gondeln ein niedriger Restsauerstoffgehalt unter 1 % erreicht wird. Tierbasierte Untersuchungen im Paternoster-System konnten während der Projektlaufzeit aus projektunabhängigen Gründen nicht mehr durchgeführt werden.
Die Ergebnisse des TIGER-Projekts zeigen eine vielversprechende Möglichkeit auf, den Tierschutz am Schlachthof zu verbessern. Bei positivem Ausgang der ausstehenden tierbasierten Untersuchungen zu Tierschutz und Fleischqualität im Paternoster-System rückt eine tierschutzgerechtere Betäubung mit Inertgasen in greifbare Nähe.
Förderhinweis: Die Förderung des Vorhabens erfolgte aus Mitteln des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages. Die Projektträgerschaft erfolgte über die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) im Rahmen des Programms zur Innovationsförderung. Das Projekt wurde mit zusätzlichen Mitteln vom Verband der Fleischwirtschaft e.V., vom QS-Wissenschaftsfonds der QS Qualität und Sicherheit GmbH sowie von der Förderergesellschaft für Fleischforschung e.V. finanziell unterstützt.
”Mit der neuen patentierten Begasungstechnik ist ein Restsauerstoffgehalt von unter 1 % in den Gruben der beiden praxisüblichen Betäubungsanlagen realisierbar.
Dr. Jonas KnöllWissenschaftler am Friedrich-Löffler-Institut
Bild 1&2: pH, Temperatur nach 45 Min
pH-Wert und die Temperatur wurden nach 45 Min zwischen der 13. und 14. Rippe der linken Schlachthälfte sowie im Schinken gemessen.
”Die untersuchten Inertgasgemische weisen aufgrund der reduzierten Aversion vor Standvermögensverlust deutliche Vorteile für den Tierschutz auf.
Dr. Inga WilkStellvertretende Institutsleiterin am Friedrich-Löffler-Institut
Lagerverlust
Zunächst wurden die Teilstücke, analog zur weitverbreiteten Vermarktung von Fleisch, in Verpackungen mit modifizierter Schutzgasatmosphäre (80 % O2/20 % CO2) verpackt und bei 4° C für 72 h gelagert. Der entstandene Gewichtsverlust wurde prozentual zum Ausgangsgewicht angegeben und als Lagerverlust definiert.
Kochverlust
Weil Fleisch vielfach in Kunststoffschalen mit Schutzatmosphäre angeboten wird, wurden die Proben im Projekt ebenfalls so verpackt und für 3 Tage gelagert. Vor und nach der Lagerung wurde das Gewicht und die Farbe gemessen.
Kontakt
Prof. Dr. Daniel Mörlein
Department für Nutztierwissenschaften
Abt. Produktqualität tierischer Erzeugnisse
Georg-August-Universität Göttingen
Kellnerweg 6
D- 37077 Göttingen
fon: ++49 (0)551 39-25601
fax: ++49 (0)551 39-5587
Mail: daniel.moerlein@uni-goettingen.de