Kann das Insektenschutzgesetz Insekten schützen?
Mitte Februar hat das Kabinett ein sogenanntes „Insektenschutzgesetz“ beschlossen. Kernpunkte sind Einschränkungen für den Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln entlang von Gewässern und in Schutzgebieten sowie ein Verbot des Herbizid-Wirkstoffs Glyphosat zum 1. Januar 2024. Aus der Landwirtschaft, aber auch aus Teilen der Politik wurde der Entwurf kritisiert. Auszüge aus einem Interview von Susanne Günther mit Prof. Dr. Andreas von Tiedemann von der Universität Göttingen über das Gesetz, seine Begründung und das schwierige Verhältnis von Wissenschaft und Politik.
Frage: Die Bundesumweltministerin Svenja Schulze hat kürzlich verkündet, dass jetzt die Insekten durch ein Gesetz geschützt werden. Würden Sie das bestätigen, dass die im Insektenschutzgesetz festgelegten Regeln Insekten schützen?
Von Tiedemann: Diese gesetzliche Maßnahme steht auf sehr schwachen Füßen und ist wissenschaftlich nicht hinreichend untermauert. Betrachtet man die Studienlage, sieht man, dass ein direkter Zusammenhang zwischen Pflanzenschutzmitteleinsatz und Veränderung der Insektenpopulationen nicht nachgewiesen ist. Selbst die vielzitierte Krefelder Studie behauptet das übrigens nicht, zumal sie sich ja auch nicht auf agrarisch genutzte Flächen bezieht. Um es deutlich zu sagen: Wir sehen auf Flächen, auf denen wir seit Jahrzehnten Insektizide einsetzen, keinen Rückgang selbst bei den Insektenarten, gegen die sich der Insektizideinsatz gezielt richtet, sondern eher das Gegenteil. Im Raps beispielsweise haben die Insektenpopulationen trotz jahrelangen Einsatzes von Insektiziden nicht abgenommen, sondern zugenommen, und zwar weltweit. Wir haben gerade eine Studie erstellt, die ausweist, dass wir auf der ganzen Welt mehr als dreißig Schadinsektenarten im Raps haben und davon haben über die Hälfte in den letzten 20 Jahren zugenommen – trotz des dort praktizierten Pflanzenschutzmitteleinsatzes. Und das betrifft übrigens auch die Nützlinge. Auch die Nützlingspopulationen haben nicht abgenommen. Das zeigen zum Beispiel Zahlen aus Mecklenburg-Vorpommern über Laufkäferpopulationen seit den 80er Jahren. Vom Julius-Kühn-Institut gibt es aktuelle Zahlen, die hohe Parasitierungsraten von Schaderregern in Rapsfeldern durch Nützlinge ausweisen, die ebenfalls keinen Trend zeigen. Die These, dass die natürliche Bio-Kontrolle außer Kraft gesetzt sei, trifft somit nicht zu. Das Julius-Kühn-Institut hat Parasitierungsraten von mehr als 80 Prozent festgestellt. Und trotzdem schießen die Populationen der Schaderreger noch über die Schadensschwelle hinaus. Aus dem Ganzen kann man ableiten, dass eine grundsätzliche Gefährdung der Insektenpopulationen außerhalb der Behandlungsflächen wenig plausibel ist. Denn wenn wir auf der Behandlungsfläche nach langjährigem Einsatz keine Rückgänge feststellen, dann stellt sich die Frage, wie Pflanzenschutzmittel außerhalb der Behandlungsflächen, wo sie, wenn überhaupt, in äußerst geringen Dosen vorkommen, zu maßgeblichen Insektenrückgängen führen sollen. Das ist höchst unwahrscheinlich, abgesehen davon, dass es nicht gemessen worden ist.
Frage: Stimmt die allgemeine Wahrnehmung, dass die Insekten-Populationen am Zusammenbrechen sind?
Von Tiedemann: Global lässt sich ein Insektenrückgang nach der Studienlage nicht bestätigen. Es gibt zwei neue Studien, die ich für ganz wichtig halte, weil sie den Stand des Wissens am umfassendsten wiedergeben. Eine davon ist im April letzten Jahres in Science erschienen. Hauptautor ist Roel van Klink. Es handelt sich um eine große Metaanalyse, die sich mit den Veränderungen der Population von aquatischen und terrestrischen Insekten beschäftigt und 166 verwertbare Langzeitstudien zusammenfasst, die weltweit gemacht worden sind. Die Hauptaussage dieser Untersuchung ist, dass sich die aquatischen Insekten in den letzten 50 Jahren – um 1960 etwa fangen die Zeitreihen an – weltweit deutlich vermehrt haben, und zwar in einer höheren Rate, um etwa 11 Prozent, als die terrestrischen Insekten, die tatsächlich weltweit etwas rückläufig sind, und zwar um circa 9 Prozent. Aber wenn man es als gesamtes Bild betrachtet, muss man sagen: Die Trendlinie ist insgesamt null. Die Aussage, es gäbe einen globalen Insektenrückgang, lässt sich so nicht treffen. Der wird nur in Europa festgestellt in Bezug auf terrestrische Insekten. Aber hier ist die Studienlage immer noch lückenhaft. Interessant an den Zahlen aus van Klink ist aber, dass die negativen Trends, die man tatsächlich in einigen Bereichen hat, sich seit den 90er Jahren abschwächen. Es ist also nicht so, dass diese Trends in den letzten 20 bis 25 Jahren stärker werden, sondern sie werden schwächer. Und das widerspricht der These, dass wir ein zunehmendes Problem hätten.
Die zweite Studie stammt von Michael Crossley und Kollegen und ist in „Nature Ecology & Evolution“ erschienen. Darin werden Datenreihen aus Nordamerika zusammengefasst. Für diese Arbeit wurden natürliche und vom Menschen beeinflusste Standorte berücksichtigt. Die Autoren kommen zu der Aussage, dass es in den letzten 40 Jahren eine hohe Stabilität der Insektenpopulationen gegeben hat und kein Trend zu erkennen ist. Auch diese Studie weist darauf hin, dass in den letzten zwei Jahrzehnten die Trends eher positiver geworden sind. Diese sehr umfassende Studienlage unterstützt auch die generelle Auffassung nicht, dass die zunehmende Intensivierung der Landwirtschaft eine wesentliche Ursache für veränderte Insektenabundanzen ist. Dieser Annahme widersprechen auch die Zahlen der langjährigen SYNOPS-Bewertungen, die eine deutliche Verminderung der Umweltwirkungen von Pflanzenschutzmitteln seit 1987 ausweisen, die übrigens allein auf technischen Fortschritten in der Wirkstoffentwicklung und nicht auf einer pauschalen quantitativen Anwendungsreduktion beruht.
Frage: Das führt mich zu einem Stichwort, was demnächst auch wieder aktuell werden wird: das leidige Thema Glyphosat. Die Genehmigung läuft noch bis Ende 2022. Der Antrag auf Verlängerung der Genehmigung ist gestellt. Noch in diesem Jahr werden öffentliche Konsultationen stattfinden. Haben Sie Hoffnung, dass eine sachliche Debatte stattfinden wird, oder ist da Hopfen und Malz schon verloren?
Von Tiedemann: Ich fürchte, dass es auch jetzt keine sachliche Debatte geben wird. Eine solche gibt es nicht mehr seit Interessengruppen gemerkt haben, dass das ein hochsensibles Thema ist, das man für seine eigenen Zwecke nutzen kann. Und es wird eben genutzt. Nach den gezielten Kampagnen gegen die Gentechnik und neonicotinoide Insektizide ist Glyphosat ein weiteres Kampagnenziel. Wir haben es hier mit ‚Graswurzelbewegungen‘ zu tun, die für eine Demokratie ohne Zweifel ein wichtiges Element sind. Kritisch wird es aber, wenn sie alleinigen Einfluß auf politische Entscheidungen gewinnen, sich Teile der Wissenschaft Ihnen anschließen und so diesen Entscheidungen eine scheinbar wissenschaftliche Begründung liefern. Man könnte hier auch eine Strategie vermuten: Die wesentlichen Stützen der produktiven Landwirtschaft werden ins Visier genommen. Es scheint diesen Interessengruppen nicht ungelegen zu sein, damit die produktive Landwirtschaft zu schwächen und ihren zunehmenden Vorsprung vor der Bio-Landwirtschaft zu reduzieren.
Frage: Die Erträge stagnieren im Öko-Landbau.
Von Tiedemann: Der Abstand zu konventionell wird eher größer. Wenn man jetzt aber die wesentlichen Produktivitätsgaranten aus der Toolbox der konventionellen Landwirtschaft eliminiert, dann reduziert man diesen Vorsprung. Was die Zulassungsverlängerung von Glyphosat angeht, werden es die Glyphosatgegner angesichts der recht eindeutigen Studienlage allerdings nicht leicht haben. Es sind vier Rapporteur Member States bestimmt worden, um das Verfahren auf noch breitere Füße zu stellen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die EFSA bei einer Neubewertung zu einem negativen Votum kommen wird, zumal, wenn alle Zulassungsbehörden der Welt von Kanada bis Argentinien und von Japan bis Australien und USA zu dem gleichen Votum kommen, nämlich dass nach den heute gültigen Kriterien Glyphosat zuzulassen ist. Es wird für die Politik sehr schwierig werden, weil ich glaube, dass die Dossiers ein Verbot nicht hergeben werden. Es wird also möglicherweise zu einer politischen Entscheidung kommen, da enormer Druck aufgebaut worden ist. Wenn das aber eintritt, wäre dies das offensichtliche Ende eines fakten- und wissenschaftsbezogenen Zulassungsverfahrens.
Frage: Die Kommune, in der ich wohne, hat auf öffentlichen Flächen statt Glyphosat einen Reiniger eingesetzt, der einen Wirkstoff enthielt, der als Biozid und Pflanzenschutzmittel-Wirkstoff aus Gründen mangelnder Anwendersicherheit nicht mehr zugelassen ist. Das ist eine Verschlimmbesserung, oder?
Von Tiedemann: Ja, das wird allgemein der Effekt sein: Man kann über Glyphosat reden, wie man will, die Alternativen werden meistens ökologisch schlechter sein. Genauso ist es bei der Beizung: Das Verbot der Insektizid-Beizung hat zu einem vermehrten flächigen Einsatz von Insektiziden und einer Zunahme des Risikos für Nichtzielorganismen geführt. Das ist auch eine Antwort auf Ihre Frage vom Anfang: Werden die Verbote, die mit dem Insektenschutzgesetz kommen, den Insekten nützen? Der erste Teil meiner Antwort lautet: Zuerst muss dieser Zusammenhang einmal dargestellt werden. Ich will ihn nicht völlig in Abrede stellen, aber er ist einfach nicht dargestellt. Es fragt sich, warum man ihn dann zur Grundlage eines Gesetzes macht. Eins steht fest: Gesetze, die auf Faktoren abzielen, die nicht ursächlich für den Insektenrückgang sind, werden wirkungslos sein. Sie werden nur die Landwirtschaft belasten, vor allem deren Produktivität und Wirtschaftlichkeit. Die zweite Antwort ist: Es ist jetzt schon absehbar, dass die Maßnahmen, die aus diesem Gesetz resultieren, eher zu einer Verschlechterung für Insekten führen werden. Die Bodeninsekten werden auf jeden Fall darunter leiden, denn die Alternativen zu Glyphosat bestehen vielfach in einer intensiveren Bodenbearbeitung. Ähnlich negative Effekte werden der Rückgang des Rapsanbaus oder des Zwischenfruchtanbaus haben.
Frage: Mulch- und Direktsaat, wo in der Regel Glyphosat zum Einsatz kommt, sollen für Käfer-Populationen eher positiv sein?
Von Tiedemann: Ja sicher, das ist durch verschiedene Untersuchungen belegt. Sie können davon ausgehen, dass bei einer Pflug-basierten Ackerkultur gegenüber Mulchverfahren eine Reduktion der Regenwürmer um über 80 Prozent eintreten kann. Das zeigen die Zahlen aus verschiedenen Regionen. Und bei den Populationen von Bodenarthropoden ist es ähnlich. Die Mulchdecke bietet Habitate für Insekten. Deswegen wäre meine Forderung als Wissenschaftler jenseits von allen ideologischen Grabenkriegen: Warum bewerten wir eigentlich nicht die tatsächlichen ökologischen Wirkungen von Maßnahmen, unabhängig davon, ob sie nun chemisch, mechanisch, vorbeugend oder direkt sind. Das ist doch eigentlich egal. Die Frage ist: Was tun sie wirklich? Das wäre mein Vorschlag. Und dann wird man in vielen Fällen zu sehr gemischten Lösungen kommen mit Werkzeugen aus beiden Lagern. Nicht begründete Verbote und die Polarisierung zwischen biologisch und konventionell führen uns nicht weiter.